Wie Michi Benthaus nach einem MTB-Unfall zurück ins Leben fand
Wir wissen, dass Actionsport und Mountainbiken nicht ganz ungefährlich ist. Doch man vertraut auf dem Bike sowie generell im Leben darauf, dass alles gut gehen wird. Das tat auch die sportbegeisterte Michi Benthaus. Bei der jungen Münchnerin ging es bei einem Sprung im Bikepark aber leider nicht gut. Aus einem kurzen Sprung wurde eine lange Reise, die sie vor viele Herausforderungen stellt und ihr Leben komplett umgekrempelt hat.
Hallo Michi, im Sommer 2018 hat sich dein Leben dramatisch verändert… Was ist geschehen?
Am 30.9.2018 bin ich mit einem Kumpel in den Bikepark Spicak gefahren. Eigentlich wollte ich an diesem Tag mein erstes Rennen (Austrian Gravity Series) fahren, allerdings hatte ich mir eine Woche vorher die Kapsel im rechten Mittelfinger beleidigt und außerdem sollte es schneien. Ich beschloss mein erstes Rennen auf die nächste Saison zu verschieben und stattdessen einen gemütlichen Downhill-Tag zu machen. Es war mein erstes Mal in diesem Bikepark und ich sah mir gleich die Jumps an, denn ich habe vor allem das Springen geliebt. Das Gefühl in der Luft zu sein, finde ich einfach unbeschreiblich.
Ich machte also den Speedcheck, um zu wissen wie schnell ich sein müsste. Soweit war alles gut, ich war mir sicher, dass dieser Sprung mich vor keine Probleme stellen sollte und vertraute auf die Geschwindigkeit, die mir der Speedcheck vorgegeben hatte. Während ich sprang, merkte ich sofort, dass der Speedcheck viel zu schnell war. Ich übersprang die Landung des Doubles, kam im Flat auf, versuchte mich noch über meinen Lenker abzurollen und brach mir dabei den 8. Brustwirbel. Schon in der Mitte des Sprungs wurde mir klar, dass mir gleich etwas wirklich Schlimmes passieren würde. Danach war ich kurz bewusstlos.
Als ich wieder zu mir kam, spürte ich sofort, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann. Das Gefühl war so eindeutig, dass mir eigentlich in dem Moment schon klar war, dass ich wohl nie wieder laufen können werde. Ich fing an zu schreien und konnte mich kaum mehr beruhigen. Ich wollte das natürlich nicht wahrhaben. Für mich war Sport immer eine der wichtigsten Sachen der Welt. Auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein und die Freiheit der Bewegung nicht mehr haben zu können, war für mich unvorstellbar und in diesem Moment wünschte ich mir nur, dieses Leben nicht haben zu müssen. Nach meinem Unfall folgten fünf Monate Krankenhaus und drei Monate Reha mit vielen Ups and Downs, großen Schmerzen und der immer größer werdenden Angst, dass sich mein Zustand nicht mehr verbessern würde.
In meinem Unfall und dem Rollstuhl fällt es mir schwer etwas Gutes zu sehen, im Leben an sich etwas Gutes zu sehen ist jedoch zum Glück einfach.
Was oder wer hat dir dabei geholfen die ersten Monate nach dem Unfall zu durchzustehen?
Direkt nach meinem Unfall hat mir meine Familie, insbesondere meine Mutter am meisten geholfen. Ich hatte das Gefühl direkt nach meinem Unfall wieder wie ein kleines Kind zu sein, das seine Mutter am liebsten Tag und Nacht um sich haben will. Nachdem die schlimmste Zeit (die ersten Wochen) überstanden waren und ich dafür bereit war, kamen mich auch wirklich viele, viele Freunde besuchen. Das hat mir sehr geholfen. Genauso wichtig waren aber auch die anderen frisch und länger Verletzten, die zusammen mit mir im Krankenhaus waren sowie andere Freunde im Rollstuhl, die ich nach der Reha kennengelernt habe. Ich denke, nur jemand, der so etwas selbst erlebt hat, kann wirklich verstehen, wie man sich fühlt und es tut gut, mit so jemandem zu reden.
Die Zeit nach dem Unfall
Gab es etwas, das dir Hoffung spendete?
Ich würde nicht sagen, dass es eine Sache war, die mir Hoffnung gab. Ich denke, es hat einige Monate gedauert, bis ich wirklich akzeptiert hatte, dass ich mich auf ein Leben im Rollstuhl einstellen muss. Daher habe ich die erste Zeit große Hoffnungen gehabt. Aber nicht, weil mir etwas Hoffnung gemacht hat, sondern weil ich diese Hoffnung unbedingt haben wollte. Ganz im Gegenteil, die Ärzte haben mir von Anfang an gesagt, dass ich nie wieder laufen werde. Mein Körper hat sich zwar am 30.9.2018 schlagartig verändert, die Psyche kann das allerdings nicht und braucht viel länger, um sich ebenfalls an die Situation anzupassen.
Wie geht es dir heute, knapp drei Jahre nach dem Unfall?
Heute, 2,5 Jahre nach meinem Unfall, weiß ich, dass in einem Rollstuhl zu sitzen definitiv nicht das Schlimmste ist, was mir hätte passieren können. Klar ist es mühsam und es gibt viele Momente und Situationen, in denen ich mir mein altes Leben zurück wünsche. Dennoch habe ich so langsam das Gefühl, dass ich nicht mehr unglücklicher bin als vor meinem Unfall. Zum Glück bin ich ein Mensch, der in fast allem immer das Gute sieht. In meinem Unfall und dem Rollstuhl fällt es mir schwer etwas Gutes zu sehen, im Leben an sich etwas Gutes zu sehen ist jedoch zum Glück einfach. Wenn man die eigene Situation erst mal angenommen und akzeptiert hat und seine Prioritäten etwas verändert, dann merkt man schnell wie gut auch ein Leben im Rollstuhl eigentlich sein kann.
Du kannst deine großen Leidenschaften wie Biken und Snowboarden nicht mehr ausleben. Hast du eine neue Leidenschaft gefunden?
Ich würde gar nicht unbedingt sagen, dass Biken und Snowboarden meine beiden großen Leidenschaften waren. Sie waren auf jeden Fall zwei große Leidenschaften von mir. Bevor ich angefangen habe zu Biken, habe ich sieben Jahre Parkour gemacht, war jeden Tag trainieren und habe mir damals nicht vorstellen können, jemals damit aufzuhören. Dank einem Kreuzbandriss und einem Mechatronik-Studium habe ich dann aber doch aufgehört und bin zum Biken gekommen, was ich dann wieder so geliebt habe wie Parkour. Natürlich fehlt mir das Biken, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man im Leben nicht auf eine oder zwei Leidenschaften begrenzt ist. Ich bin zum Glück ein sehr begeisterungsfähiger Mensch und schaffe es immer wieder auch neue Leidenschaften zu entwickeln. Das geht natürlich in diesem Ausmaß nur bei sehr wenigen Dingen, aber irgendwie geht halt doch.
Ich wollte schon immer unbedingt in der Raumfahrt arbeiten und habe im Herbst mit dem Master in Luft- und Raumfahrttechnik angefangen. Das macht mir sehr viel Spaß und ich liebe die Raumfahrt. Bei mir entwickelt sich gerade eine neue Leidenschaft und ich habe das Ziel, zumindest mal eine Zeit lang, bei der NASA zu arbeiten.
Inwiefern hat sich deine Sicht auf das Leben verändert?
Ich weiß gar nicht, ob sich meine Sicht auf das Leben so sehr verändert hat. Ich habe allerdings festgestellt, wie bedingungslos Eltern ihre Kinder lieben und das hat mir zu denken gegeben, ob ich vielleicht später auch mal ein Kind möchte. Das habe ich mir vor meinem Unfall nur schwer vorstellen können. Ansonsten bin ich dankbar für alles, was ich noch habe: dass ich meine Arme bewegen und ein komplett eigenständiges Leben führen kann. Das weiß ich mehr zu schätzen als vor meinem Unfall. Gleichzeitig habe ich aber auch immer Angst, dass mir noch irgendetwas verloren gehen könnte, am meisten natürlich noch ein Teil meines Körpers.
Neue Leidenschaften
Was sind die drei wichtigsten Lektionen, die du auf deinem Weg gelernt hast?
- Dass es fast in jeder Lebenssituation immer etwas Positives gibt und man sich darauf konzentrieren muss, dann ergibt sich der Rest irgendwie von alleine.
- Wie wichtig Freunde und Familie sind, ich denke ohne sie hätte ich nicht so schnell ins Leben zurückgefunden.
- Dass sich das Leben so schnell grundlegend ändern kann, dass man keinen Tag verschenken sollte, im Hier und Jetzt leben und seinen Träumen nicht nur nachhängen sollte.
Wie sieht dein Leben heute aus? Was machst du beruflich und mit was beschäftigst du dich in deiner Freizeit gerne?
Mein Leben heute ist zum Glück wieder wirklich richtig gut. Ich würde nicht mal mehr sagen, dass ich unglücklicher bin als vor meinem Unfall. Klar, habe ich mit den typischen Rollstuhlproblemen zu kämpfen und klar, wäre mein Leben noch besser, wenn ich wieder „normal“ wäre, aber dennoch bin ich zurzeit wirklich richtig glücklich. Wie oben schon erwähnt mache ich an der TU München gerade meinen Master in Luft- und Raumfahrttechnik, was mir wirklich unglaublich viel Spaß macht. Ich habe auch einige neue Hobbys gefunden. Dazu zählen zum Beispiel Tennis, Schwimmen und Kartfahren. Ansonsten treffe ich mich gerne mit Freunden auf einen Kaffee oder im Biergarten, so wie es andere Leute auch machen. Das Leben hat zum Glück auch mit Rollstuhl so viel mehr zu bieten als ich jemals gedacht hätte.
Gibt es etwas, das du anderen (Mountainbikern) gerne mit auf den Weg geben möchtest?
Ja gibt es, sogar mehr als nur eine Sache:
- Falls ihr keine Unfallversicherung habt, schließt unbedingt eine ab!! Ich wünsche wirklich niemandem, dass er mal in meine Situation kommt. Sollte das aber doch passieren, dann wird euch die Krankenkasse wirklich nur das Allernötigste zahlen. Gerade mal so den Rollstuhl, aber keinen Umbau vom Auto, kein Handbike,… Ihr werdet das Geld der Unfallversicherung also mehr als brauchen.
- Kauft euch einen Genickschutz!! Ich weiß, die Dinger sind etwas mühsam und schränken das Sichtfeld ein. Ich habe allerdings meinen Unfall auf Video und bin mir sicher, dass mich der Genickschutz vor einem Halswirbelbruch bewahrt hat und glaubt mir, in den meisten Fällen ist dann nicht mal mehr ein komplett selbstständiges Leben möglich. Das kann nicht mal ich mir vorstellen und darüber will ich auch lieber gar nicht nachdenken.
- Vertraut bloß nicht auf Speedchecks!!! Das habe ich nämlich gemacht, leider war meiner viel zu schnell. Auch wenn eine Jumpline eigentlich vernünftig gebaut sein sollte, ist das leider nicht immer der Fall. Also fragt jemanden, der die Line schon mal gefahren ist, ob er euch vorfahren kann.
- Fahrt ein Ründchen für mich mit!!!
Folge Michi bei ihren neuen Leidenschaften: @michi_benthaus
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