„Du kannst die Wellen nicht aufhalten,
aber du kannst lernen, sie zu surfen.“
-Jon-Kabat-Zinn-
Achtsamkeit?!? Was ist denn das? Die ultimative Glücksformel? Esoterischer Hokuspokus oder ein Modewort? Oder vielleicht doch eine ganz hilfreiche Methode, um sich zu ent-stressen und trotzdem seine Ziele zu erreichen? Wie übt man Achtsamkeit und was hat das ganze mit Surfen oder Snowboarden zu tun? Wir haben uns mit Mental- und Achtsamkeitstrainerin Pia Schröter darüber unterhalten, was das mit der Achtsamkeit denn wirklich so auf sich hat.
Achtsamkeit erscheint in letzter Zeit immer häufiger als neues Modewort, was ist das und wofür ist es gut?
Wer kennt es nicht? Du sitzt in der Uni und träumst vom nächsten Surfurlaub auf den
Malediven. Oder du fährst mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause und musst ständig an den letzten Streit mit deiner besten Freundin denken. Im Alltag bewegen wir uns oft wie ferngesteuert. Wie häufig kreisen unsere Gedanken entweder um die Vergangenheit oder Zukunft, während wir überhaupt nicht wahrnehmen, was gerade um uns herum passiert. Wie oft be- oder verurteilen wir Situationen oder das Verhalten anderer und machen uns damit selbst das Leben schwer? Vielleicht haben wir sogar ganz unbewusst unser Lebensglück von einem anderen Menschen abhängig gemacht oder sind totunglücklich, weil wir gestresst von einem Termin zum nächsten hetzen, ohne uns jemals eine kurze Pause zu gönnen, um mal aufzuatmen und uns klar zu werden, warum eigentlich und überhaupt?
Sich klar werden… spätestens hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel. Denn achtsam sein bedeutet, in jedem Moment präsent oder auch „gewahr“, sich voll und ganz im Klaren und bei sich selbst zu sein. Achtsamkeit ist alles andere als Hokuspokus und hat auch nichts mit Gefahrenvermeidung zu tun. Man versteht darunter eine besondere Form der Aufmerksamkeit, die auf das nicht-wertende Erleben im Hier und Jetzt abzielt. Wer achtsam ist, sieht sich eher in der Schöpfer- als Opferrolle seines Lebens. Achtsamkeit steht für innere Freiheit und eine wertungsfreie innere Einstellung gegenüber äußeren Verhältnissen oder dem Verhalten anderer. Achtsamkeit zu lernen ist kein Hexenwerk. Mit etwas Durchhaltevermögen kann es jeder trainieren und das Gute daran ist… es funktioniert wirklich!!!
Bei regelmäßiger Übung von Achtsamkeit merkt man schnell, dass das Empfinden von Glück nicht von äußeren Dingen oder anderen Menschen abhängt. Mit Achtsamkeit wird man sich seiner selbst „bewusst“ und erkennt auch die eigenen Stärken, man reagiert in Stresssituationen viel souveräner. Wer Achtsamkeit übt, lernt, seine Gedankenströme zu meistern oder gar abzuschalten und eine neue Dimension inneren Friedens zu erreichen. Plötzlich können einen weder der Alltag, noch andere Menschen aus der Ruhe bringen. Man empfindet absolutes Glück, Zufriedenheit und Dankbarkeit im Augenblick und nimmt plötzlich voller Klarheit und Begeisterung all die kleinen Dinge wahr, die Tag täglich um einen herum passieren. Negative Emotionen werden in sinnvolle Kanäle gelenkt, der Stress lässt nach und man lernt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und selbstbestimmter und selbstbewusster zu handeln und schließlich glücklicher zu gestalten. Auch Ängste und Blockaden lassen sich mit etwas Disziplin durch Achtsamkeit überwinden. Und das Beste ist: wer Achtsamkeit trainiert, lernt seinen Körper bewusster wahrzunehmen und die Bewegungen so zu optimieren, dass sich seine Performance auch beim Surfen und Snowboarden extrem verbessert.
Vielen reden im Zusammenhang von Achtsamkeit auch immer von Stressbewältigung. Woher kommt das und wie funktioniert das?
Die Idee der Achtsamkeit beruht auf der zweieinhalbtausend Jahre alten buddhistischen Satipatthana-Sutra Lehre. Der New Yorker Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn entwickelte daraus die Achtsamkeitspraxis und brachte 1979 ein systematisches, medizinisches Programm zur Stressbewältigung heraus. Das MBSR (Mindfulness – Based – Stress – Reduction) Programm ist ein achtwöchiger Kurs, der neben unterschiedlichen Elementen aus achtsamem Yoga und Zen auch unterschiedliche Meditationsarten wie Atemmeditation, Geh-Sitzmeditation lehrt und verschiedene Aufmerksamkeitsübungen wie beispielsweise den Bodyscan vermittelt.
Man muss aber heutzutage keinen 8-wöchigen Kurs belegen, um Achtsamkeit zu erlernen. Dazu genügt es, entschlossen zu sein und die Übungen regelmäßig allein oder in einer Gruppe zu trainieren und mit Zielstrebigkeit und Disziplin immer wieder zu wiederholen. Aller Anfang ist schwer, aber nach einiger Zeit werdet ihr euren Fortschritt an veränderten Reaktionen auf Stress und äußere Einflüsse beobachten können. Wichtig ist, dass man sich die Prinzipien der Achtsamkeitsübung immer wieder vor Augen hält.
Und was sind die Prinzipien der Achtsamkeitsübung?
1. Nicht-Urteilen
Achtsamkeit beruht auf der Annahme, dass alles aus einem Grund passiert. Man lernt eine innere Haltung einzunehmen und die Fähigkeit, die Dinge so hinzunehmen, wie sie sind, ohne sie zu be- oder verurteilen. Vor allem beim Sport, oder im Falle von Verletzungen stellt diese innere Haltung eine große Herausforderung dar. Dennoch hilft sie uns extrem, Niederlagen zu Überwinden oder uns von anderen abzugrenzen ohne uns mit ihnen zu vergleichen.
2. Geduld
Vor allem mit uns selbst sollten wir bei der Übung von Achtsamkeit und Meditation geduldig sein, denn anfangs schweifen die Gedanken ständig ab. Zumindest nimmt man dann überhaupt erst einmal wahr, wie viele Gedanken so ständig in unserem Kopf herumschwirren. Auch bei der Ausübung des Sports hilft es, etwas geduldiger mit sich selbst zu sein und den Fokus nicht nur auf die Leistung, sondern auch die Freude am Tun zu richten.
3. Anfängergeist
Manchmal ist es sinnvoll, sich den Blickwinkel und die Begeisterungsfähigkeit eines Kindes zu bewahren und die Schönheit der einfachen Dinge wiederzuentdecken. Auch, wenn es viele von uns im Erwachsenenalter verlernt haben, kann man sich den Anfängergeist und die Begeisterungsfähigkeit wieder trainieren. Vor allem im Sport bringt es einen oft weiter, die „Verkopfung“ auszuschalten und einfach mal wieder aus Spaß Snowboarden zu gehen oder beim Surfen mit großen Augen die tausend funkelnden Farben des Meeres zu bewundern, während man im Line-up auf die nächste Welle wartet.
4. Vertrauen
Vertrauen ist die Abwesenheit von Angst. Wie oft haben wir mit mangelndem Vertrauen zu kämpfen. Ganz gleich, ob es sich um fehlendes Vertrauen in die Situation oder in uns selbst handelt, Vertrauen ist keine Konstante, die immer in gleichem Maße vorhanden ist. Um weiterzukommen und uns auch sportlich weiterzuentwickeln, müssen wir bewusst an unserem Vertrauen arbeiten. Das geht natürlich auch mit einem gezielten Mentaltraining und positiv aufgeladenen Glaubenssätzen. Denn wer vertraut, der hört auf seine innere Stimme und schafft auch beim Snowboarden und Surfen ganz ohne Angst, seine Komfortzone zu verlassen, innere Grenzen zu überwinden und sich über kurz oder lang extrem zu verbessern.
5. Nicht-Erzwingen
Die schwierigste Übung von Achtsamkeit in unserer westlichen Leistungsgesellschaft ist wohl das Nichtstun. Wann habt ihr das letzte Mal einfach nichts gemacht? Wann ward ihr euch das letzte Mal einfach des aktuellen Momentes „gewahr“? Nicht-Erzwingen bedeutet
zielfrei in die Übung gehen oder auch eine Meditation ohne Erwartungen zu starten.
Gedanken kommen und gehen, und das ist nicht schlimm… (denn wir urteilen ja nicht 😉 Lass sie wertfrei ziehen und versuche einfach den gegenwärtigen Augenblick im Hier und Jetzt zu erleben.
6. Akzeptanz des Ist-Zustandes
Wie oft ist man mit seinem aktuellen Zustand unzufrieden. Sei es der eigene Körper, die eigene Fitness, Verletzungen, Krankheiten oder einfach nur die gegenwärtige Situation, in der man sich gerade befindet. Akzeptanz des Ist-Zustandes bedeutet Ja zu sagen, zu dem was gerade ist. Auch, wenn beispielsweise keine guten Wellen sind oder auch kein Powdertag in Sicht ist, die Situation einfach so hinzunehmen, wie sie ist, ist nach Jon-Kabat Zinn´s Definition schon der ersten Schritt zur Besserung.
7. Loslassen
Oder auch zulassen ist das letzte Grundprinzip der Achtsamkeitsübung. Gefühle, Gedanken und Situationen einfach zur Kenntnis nehmen, ohne sich große Gedanken darüber zu machen, was wäre, wenn die Situation jetzt anders wäre.
Welche Achtsamkeitsübung empfiehlst du uns für den Anfang? Könntest du uns ein Beispiel anleiten?
Ganz einfach für den ersten Einstieg ist zum Beispiel die Achtsamkeitsübung beim Surfen. Während du im Line-up auf die nächste Welle wartest, nutzt du die Zeit und spürst in deinen Körper hinein. Wie fühlt es sich an, auf dem Brett zu sitzen? Spürst du den Widerstand des Wassers an deinen Beinen? Fühlst du die wärmende Sonne in deinem Gesicht? Hörst du das Rauschen der Wellen? Spürst du den Fluss deines Atems? Wie sieht das Meer jetzt gerade aus? Stell dir vor, du würdest dich jetzt von oben betrachten, wie wäre das Szenario? Und plötzlich bist du ganz im Hier und Jetzt und gibst dir selbst die Antworten, nach denen du suchst, ganz einfach und ohne Erwartungen. Vielleicht empfindest du jetzt Glück? Vielleicht fühlst du dich verbunden mit der Natur?
In meinen Workshops beginne ich meist mit dem Bodyscan. Dabei legt man sich entspannt auf den Boden und bringt die Aufmerksamkeit komplett in den Augenblick. Es ist hilfreich, dabei auf den eigenen Atem zu achten. Wie fühlt es sich beim Einatmen an, wie verändert sich der Körper, wenn der Atem wieder ausströmt. Dann lenkt man die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Bereiche des Körpers und scannt sämtliche Gliedmaßen vor dem geistigen Auge durch. Vom kleinen Zeh beginnend, über den ganzen Fuß, die Wade, das Knie, den Oberschenkel, das Becken, den Bauch, … usw. fragt man sich in ruhiger Atmung wie sich der Körper anfühlt, man nimmt ihn einfach wahr. Auch Schmerzen werden wertfrei registriert. So erfolgt ein ruhiger
Bodyscan vom Fuß bis zum Kopf in Synchronisation mit der Atmung. Das Ziel dieser Übung ist, die Aufmerksamkeit komplett in die Gegenwart und auf die Wahrnehmung des
eigenen Körpers zu lenken. Gedanken kommen und gehen und werden wertfrei akzeptiert. Je häufiger man diese Übung wiederholt, desto seltener ziehen Gedankenschwaden durch und desto besser lernt man, sich wirklich auf den Augenblick zu konzentrieren. Es stellt sich eine tiefe Entspannung ein. Zufriedenheit und innere Ruhe sind die Folge. Durch eine verbesserte Körperwahrnehmung werden auch die Weichen für bewusstes Bewegungslernen gelegt. Anspannung wird losgelassen.
Im Zustand der absoluten Entspannung könnte man nun beginnen, gewisse Bewegungsabläufe, beispielsweise aus dem Snowboarden oder Surfen zu visualisieren, um das Körperlernen auch auf Bewegungsebene zu verbessern. Damit wäre dann allerdings die Grenze zum Mentaltraining überschritten.
Wie bist du selbst auf das Thema Achtsamkeit gekommen und wo wendest du es in deinem Alltag an?
Seit meinem 16. Lebensjahr habe ich mit den unterschiedlichen Entspannungsmethoden
Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation und Meditation beschäftigt. Im Rahmen meiner Ausbildung zur Mentaltrainerin habe ich mich mit dem Thema Achtsamkeit als Basis für ein effektives Mentaltraining auseinandergesetzt.
Manchmal packe ich mir meine Tage selbst so voll, dass ich nicht mehr weiss, wie ich das alles schaffen soll. Dann besinne ich mich auf die Übungen der Achtsamkeit und schon nach einigen Minuten „Nichtstun“, BodyScan oder Entschleunigung habe ich wieder neue Energie und Kraft, meinen Tagesplan abzuarbeiten. Denn ich erinnere mich wieder, warum ich all das tue und freue mich auf meine Aufgaben. Sowohl beim Surfen, als auch Snowboarden habe ich durch Achtsamkeitspraxis gelernt, auf meinen Atem zu achten und meine Bewegungen mit dem Atem zu synchronisieren, womit ich mein Fahrkönnen extrem verbessern konnte. Auch Schicksalsschläge wie ehemals als „schlimm“ empfundene Verletzungen habe ich mithilfe von Achtsamkeitstraining gelernt, mit „ganz anderen Augen“ zu sehen und freue mich immer wieder, diese Erfahrungen mit anderen zu teilen.
Gibst du auch Achtsamkeits-Workshops? Und wo trifft man dich an?
Im Sommer biete ich im Rahmen meiner Surf Camps in Portugal auch Achtsamkeitsworkshops und Mentaltraining an. Auch im Winter baue ich unterschiedliche Elemente in die Snow und Splitboard Camps ein, die ich gemeinsam mit Aline Bock in den österreichischen Alpen organisiere. Dabei helfe ich unseren Teilnehmern immer wieder, ihre eigenen persönlichen Grenzen zu überschreiten und jenseits ihrer Komfortzone unendlich viele Glücksmomente zu erleben.