Kirgisian Dreams – Zwischen schwarzem Tee und wilden Pferden

Brrrrr, brrrrr. Nichts passiert. Mein Pferd stapft ziemlich schnell auf der vereisten Straße bergab, und ich kämpfe mit meinem Gleichgewicht. Hier geht gerade ein Kindheitstraum in Erfüllung – mit dem Snowboard am Pferd eine Splitboardtour beginnen. Es dauert einige Minuten, bevor ich mich an den Rhythmus der Schritte gewöhnt habe. Das Splitboard am Rücken und die Snowboardboots machen das Reiten nicht einfacher. Der frische Schnee glitzert, die Walnussbäume werfen ihre Schatten auf die Straße und die Lines, die wir beim Reiten betrachten können, sehen ziemlich vielversprechend aus.

Kirgistan liegt westlich von China, nördlich von Tadschikistan und im Herzen des Tianshan Gebirges mit seinen 7000ern. Die 5,5 Millionen Einwohner reden Kirgisisch und Russisch oder auch Usbekisch. Die ehemalige UdSSR ist allgegenwärtig – in Ortsnamen, der Architektur, in den Oldtimern, die selbstverständlich überall herumfahren und in der stoischen Gelassenheit, mit der die Menschen die Unzulänglichkeiten des Staates ignorieren.

Plötzlich ist es mit der Idylle auf dem Pferderücken vorbei. Ein alter Lada rumpelt durch den ganzen Schnee auf der Straße auf uns zu, und wir flüchten auf unseren Pferden in den Tiefschnee eines Gartens. Motor hat Vorrang vor Pferd und Mensch. Die Hühner gackern, wir versuchen
etwas krampfhaft unsere Pferde im Zaum zu halten, während die Bewohner
das Lehmhauses lachend das Spektakel beobachten.

Bei der anschließenden Tour auf den Green Hill spüren wir die ungewohnte Belastung vom Reiten – der Muskelkater macht sich schon beim Aufstieg bemerkbar und die Sonne ist ziemlich warm. Allerdings gibt’s in den Nordwesthängen steile Pillowlines mit tiefem Powder. 45 Sekunden pure Freude und dann ein langer, gemütlicher Outrun im Schatten des Berges.

Am nächsten Tag in der Früh bringt mich nur die Aussicht auf ein fabelhaftes Frühstück aus dem warmen Bett. Der Milchreis wird in Suppentellern serviert, dazu gibt’s selbstgemachte Granatapfelmarmelade, Nüsse und den immer präsenten, typischen schwarzen Tee.

Wir verbringen den Tag im Kessel in der Nähe der Jaz Jarim Schäfer-
hütten. Doch zuerst legen wir unsere Aufstiegsspur durch den Walnusswald, die Baumgrenze liegt erst bei etwa 2000 m. Walnüsse und Walnussöl sind das wichtigste Exportgut des Tales, und während der Erntezeit im Herbst ziehen die Familien für einige Wochen in den Wald. Anders als in früheren Zeiten steht der Wald heute unter Schutz und mit einem umsichtigen Ressourcenmanagement erhalten die Einheimischen dieses Ökosystem.

Hier in Arslanbob waren die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten nicht immer so positiv. Zwar ist der Walnusswald UNESCO Weltkulturerbe und der Ort ist von einer einzigartigen Bergwelt umgeben, aber sowohl die Infrastruktur als auch die Bevölkerung sind eigentlich für eine globalisierte Welt nicht bereit. Erst durch Community Based Tourism kann ein größerer Anteil der Bewohner auch im Winter vor Ort Geld verdienen.

Community Based Tourism sorgt einerseits dafür, dass die Wertschöpfung im Ort bleibt, andererseits wird für Touristen ein einzigartiges Reise-
erlebnis geschaffen. Über eine gemeinschaftliche Organisationsstruktur mit verschiedenen Untergruppen wird ein Teil der Einnahmen in verschiedene Projekte investiert, um eine beständige Öko-Tourismuswirtschaft aufzubauen. Diese Investitionen reichen von der Anschaffung von Maschinen und Fahrzeugen bis zu Workshops mit Experten in verschiedenen
Fachbereichen (z.B. Alpinismus und Lawinenkunde oder Agrarwissenschaften).

Unsere lokalen Mountainguides wurden über CBT ausgebildet und
erzählen uns am Weg durch den Walnusswald die Legende seiner Entstehung. Angeblich suchte der Prophet Mohammed das Paradies auf Erden und fand es im Tal von Arslanbob mit seinen glasklaren Bächen umgeben von den schönsten Bergen. Nur Bäume fehlten. Und so wurden diverse Samen gesäht, unter anderem auch Walnüsse.

Oben am Grat angekommen sehen wir das erste Mal unseren nordseitig
gelegenen Spielplatz für diesen Tag. Über dreißig Zentimeter Powder bedecken das Gelände. Langsam tasten wir uns an die steileren Lines im felsdurchsetzen Gelände heran. Unsere Guides sind nicht so wahnsinnig tourenbegeistert, legen sich in der Mitte des Kessels in die Sonne und bereiten ein Picknick vor. Wir hiken den Kessel einige Male und jedes Mal gibt’s zwischendurch eine kleine Stärkung aus Brot mit Käse, Nüssen und Süßigkeiten und schwarzem Tee aus Thermoskannen.

Schneller als uns lieb ist, nähert sich die Sonne dem Horizont, und die Abfahrt über Bruchharsch im Wald auf den Südhängen zieht noch die letzte Kraft aus den Beinen.

Während wir auf unser Taxi in Form eines Pickup Jeeps aus den 60ern warten, amüsieren sich einige Kinder mit unseren Ski und Snowboards, während andere mit ihren eigenen Skiern immer wieder die kurze Steigung hinaufhiken und dann ziemlich flott die Straße hinunterflitzen. Community Based Tourism gibt es seit dem Jahr 2000 und im Laufe der Zeit wurden auch einige Skikurse und Skiausrüstung für die Bewohner von Arslanbob organisiert.

Unser nächstes Ziel ist der 2.878 m hohe Nooruz Peak. Wegen des langen Zustieges ist das eine Zweitagestour. Unsere Guides sind auch hervor-ragende Köche und bereiten in unserem Base Camp, einer Schäferhütte aus Lehm, auf dem Holzofen einen Gemüseeintopf mit Hammelfleisch, der zu den besten Dingen gehört, die ich je essen durfte. Kirgistan ist definitiv nichts für Vegetarier, aber perfekt für Flexitarier.

Im Morgengrauen gehen wir los. Schließlich weiß niemand genau, wie lange wir wirklich bis zum Gipfel benötigen und wie die Schneebedingungen am Grat sind. Die lokalen Guides kennen die Routen und werden auch laufend von verschiedenen internationalen Organisationen weitergebildet, trotzdem ist die Ausbildung der Locals noch nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Und angesichts der desolaten Infrastruktur und der weit entfernten medizinischen Versorgung, planen wir immer großzügige Sicherheitspolster ein. Mit Sonnenaufgang stehen wir auf der ersten Anhöhe und blicken in die weite Ebene. Trotz der ausgelassenen Stimmung machen wir Tempo – immerhin liegt der Großteil der Höhenmeter noch vor uns.

Über den Grat arbeiten wir uns mit unzähligen Spitzkehren stetig nach oben. Man muss keine Kletterei bewältigen, aber an einigen Stellen hat der Wind beeindruckende Wechten geformt, was uns zu Umwegen zwingt.  Endlich oben angekommen fällt der Blick in die weite Ebene und auf die umgebenden 5000er. Das regt zum Träumen an – das nächste Mal in Kirgistan kann es ruhig weiter hinauf gehen. Unsere jungen Guides sind genauso begeistert wie wir und haben wieder Süßigkeiten für alle mit dabei. Leider ist angesichts des Windeinflusses auf die Schneedecke an die ursprünglich geplante Line nicht zu denken. Nach einigen sehnsüchtigen Blicken in das steile Face und den obligatorischen Gipfel-Selfies fahren wir über die Powderfelder entlang des Grates wieder ab.

Schon etwas erschöpft kommen wir wieder bei der Hütte an und packen unsere Sachen für den langen Marsch zurück ins Dorf. Kaum am Rande des Dorfes angekommen, erzählt uns Asamat, unser kirgisisches Organisationsgenie, was er für heute noch geplant hat: Sauna für alle.

Weil die sanitären Einrichtungen in den Homestays ziemlich bis sehr einfach sind, ist heiß duschen nicht ganz so oft möglich. Und die Muskeln verlangen Entspannung. Trotzdem sind wir Frauen uns nicht sicher:  Sauna in einem muslimischen Land?

Wir erwarten einen getrennten Hammam, stattdessen gibt’s eine ganz normale gemischte Sauna mit den anderen Europäern, den kirgisischen Guides und einem Bier für jeden. Die Saunatücher sind alte, bunt geblümte Leintücher und die Temperatur in der Sauna ist Wahnsinn. Uns wird erklärt, wie Sauna geht: Rein, aufgießen und wegen der irren Hitze nach etwa 2 Minuten wieder rausstürmen und ins Kaltwasserbecken tauchen. Und zwischen den Saunagängen fleißig Tee trinken, das Bier war also eine Ausnahme.

Unsere Zeit in der ländlichen Idylle Arslanbos geht zu Ende, und in alten Mercedes Bussen geht es nach Osh. Osh ist so ziemlich die hässlichste Stadt, die man sich vorstellen kann, aber der Marktbesuch im Nieselregen ist trotzdem ziemlich interessant. Es gibt alles, vieles aus Russland oder China importiert und eine riesige Auswahl an Gewürzen, Trockenfrüchten und Tees.

Neben allerlei anderen kuriosen Mitbringseln ist besonders das Klopapier interessant: Braunes Krepppapier, das aus irgendwelchen Gründen trotzdem seinen Zweck ziemlich gut erfüllt.

Weil es unser letzter Abend in Kirgistan ist tauchen wir auch noch einmal in das urbane Partyleben ein. Es ist etwas förmlicher als bei uns, aber auch sehr alkoholisch. Vodka zählt zu den meistkonsumierten Getränken im Club und die Tanzfläche ist gut gefüllt. Kirgistan durchläuft eine rapide Entwicklung, trotzdem werden viele Traditionen, gute wie schlechte, tatsächlich gelebt.

Nach dem ruralen, einfachen Leben in Kirgistan fühlt sich das Badezimmer daheim ziemlich gut an. Auch die vom Schnee geräumten Straßen und öffentliche Verkehrsmittel sind der reinste Luxus. Aber Orte wie Arslanbob sind trotzdem ein Vorbild. Ich habe selten so viel Optimismus und Gestaltungswille von engagierten Bürgern erlebt. Als bewusster Besucher kann man seinen Teil für eine gute Zukunft an diesem Ort beitragen.