Alles verkaufen, sich ein Zuhause im Bus einrichten und das Büro gleich mit nehmen: die beiden Kreativen Kathi und Paul leben seit zwei Jahren als Vannomaden – so nennen sie sich. Sie wollten mehr Freiheit, mehr Zeit zum Surfen und Snowboarden, mehr erleben und mehr Zeit in der Natur. Der Plan ging auf und das Paar ist damit Vorbild für viele, die den selben Traum haben.
Hallo Kathi, du und dein Freund lebt schon seit knapp zwei Jahren in eurem Camper Bjørn. Wie sehr haben dich die letzten zwei Jahre verändert?
Im Prinzip hab ich alles umgekrempelt: von vier Wänden auf vier Räder, von der Festanstellung in die Selbstständigkeit, von der schwäbischen Heimat zu „Home is where you park it“, von der Routine ins Abenteuer. Eigentlich hat sich mein ganzes Leben geändert und manche Konsequenzen davon habe ich nach ein paar Tagen gespürt, manche nach Monaten. Aber ich sehe es so: „Nur wer loszieht, der kann auch ankommen.“ Und ich freu mich drauf mit allen Erfahrungen der Reise irgendwann am richtigen Platz zur richtigen Zeit anzukommen. Nicht nur örtlich gesehen, sondern auch ein bisschen philosophisch. Jede Erfahrung, egal ob auf die Schnauze geflogen oder Luftsprünge gemacht, zeigt mir ein bisschen mehr, was ich gerne in meinem Leben mag und brauch und was weg kann.
Hat sich deine Einstellung zum Leben geändert?
Hier wäre wahrscheinlich Platz und Potential zum Philosophieren, aber man kann’s auch schlicht sagen: ich versuche mein Leben möglichst schön zu gestalten. Dazu gehört meine Bucket-List abzufeiern oder mit Freunden und Familie Zeit zu verbringen, zwischendurch ein bisschen Schabernack und Freitagabendideen verwirklichen. Das war früher so, das ist heute so. Was sich geändert hat, war der Alltag und das „Zuhause“ drum herum. Und vielleicht auch, dass ich noch wertschätzender mit dem Leben umgehe und manche Momente um ihre Kostbarkeit zu schätzen weiß. Meine beste Freundin hat ihrem 30. Geburtstag in Südtirol gefeiert und als wir Donnerstag Nachmittag im Whirlpool mit Blick auf die Berge rumgehangen sind, hat sich bei mir ein Grinsen breit gemacht und der Gedanke, wie gut wir’s grade haben.
Was war der ausschlaggebende Grund die Wohnung gegen den Bus einzutauschen?
Ehrlich gesagt die Bretter, die die Welt bedeuten!
Wir sind keine Fans des bequemen Lebens und lieben Abenteuer, das nach Salzwasser oder Bergluft schmeckt.
Außerdem wollten wir mehr Life in unserer Work-Life-Balance haben, hatten keinen Ort, wo wir ausschließlich hinwollten, sondern den Plan überall zu surfen, snowboarden und longboarden – dazu muss man natürlich mobil sein, um vom Winter in den Sommer und zurück kommen. Ein Van musste her. Außerdem haben wir uns gefragt: Wieso erst als Rentner zum Aussteiger werden und das Leben genießen, jetzt ist eigentlich das noch viel bessere Leben (man kann sich noch richtig bücken und beißen) und wir leben in einem digitalen Zeitalter, wo man Roadtrips wunderbar mit dem Job verbinden kann.
Und außerdem: eine Wohnung und einen festen Job findet man immer, das können nicht die Gründe sein, die uns davon abhalten, auszubrechen. Und jetzt ist jedes Mal wenn wir die Tür öffnen, nichts als grenzenlose Freiheit.
Man ist mitten drin im Leben. Direkt vor der Türe schneebedeckte Berge oder sonnige Traumstrände. naturbelassene Wälder oder traumhafte Seelandschaften.
Welche Rolle hat Surfen und Snowboarden in eurer Entscheidung als Vannomaden zu leben gespielt?
Wie schon geschrieben: Eine der Größten! Weil einfach nix mehr Spaß macht, als den Sonnenuntergang vom Meer aus zu sehen, eine Line in unberührten Zuckerwatteschnee zu ziehen oder eine nochmal bisschen steilere Straße mit dem Longboard bezwungen zu haben. Diese Dinge machen mich einfach glücklich und deswegen mussten sie mehr Platz in meinem Leben spielen. Wie kann ich diese schönen Dinge mehr in meinem Leben integrieren, habe ich mich dann erst anschließend gefragt.
Wie viele Tage verbringt ihr auf euren Boards?
Das ist jetzt eine kleine Matheaufgabe, weil es natürlich davon abhängt, wie viel Arbeit zu tun ist und wo man gerade steht, ob man noch Strecke machen muss oder gerade mitten in einer Stadt ist. Letzten Winter hatten wir die Tirol Snow Card und da konnte man vor der ersten Arbeitssession ein paar Turns machen oder als Mittagspause ne schwarze Piste fahren. In Galizien gab es dafür manchmal einen Feierabendsurf, wobei wir da tatsächlich mehr die Arbeit nach den Tides ausgerichtet haben. Um zur Frage zurückzukommen, alle 2-3 Tage geschätzt.
Was ist deiner Meinung nach die beste Gegend zum Surfen und Campen?
Galizien! Wilde, grüne Natur mit schroffen Felswänden, weniger Tourismus als an der portugiesischen Algarve und tolle Nachtlager mit Meerblick. Der Teil Spaniens bietet zwar nicht immer den perfekten Schönwetter-Surf, aber wer’s mag, der kann neben den Wellen auch noch den Wind im Gesicht spüren und zwar nicht endlos weit gucken, aber dafür im Sichtfeld gerade mal eine Handvoll Leute haben. Die perfekte Mischung aus vielen Wellen und wenig Menschen.
Mit ein bisschen mehr Zeit im Gepäck würde ich auch die Kanaren empfehlen, mit den Fähren kann man wunderbar die Inseln abklappern und mal einen schwarzen, windigen Strand auf Lanzarote aufsuchen und am nächsten das türkisblaue Wasser auf Teneriffa bewundern. Die Camper werden toleriert und haben zwar heiße Nächte, aber tolle Stellplätze unterm Sternenhimmel.
Hast du Tipps für den perfekten Stellplatz mit Blick auf die Wellen?
Darf ich nochmal Galizien einloggen? Oder Nordportugal? In den etwas frischeren Vor- und Nachsaisonmonaten gab’s dort die perfekten Bedingungen für uns: Direkt am Strand, mit Blick aufs Wellenset und LTE (zum Online Arbeiten bei schlechten Wellen), mit Bäckerservice, kaum Mücken, Stranddusche und Versorgungsstation.
Viele geniale Spots zum Übernachten finden wir über Magicseaweed. In unserer geliebten Nebensaison – außerhalb der Sommermonate – haben wir Strände manchmal fast für uns allein und können mit Blick aufs Meer schlafen und vom Wellenrauschen geweckt werden. Kann’s was Schöneres geben? Solche Momente krame ich gerne als Stärkung für Krisen heraus.
An welchen Ort möchtest du/ihr wieder zurück?
Im Frühling in meine Reise-Lieblingstadt Gent (für Streetart-addicts wie mich gibt’s da sogar die Concrete Canvas Stadttour, die man selber mit dem Radl und liebevoll gestalteten Stadtplan machen kann). Zum Surfen, Pinxtos essen und lokalen Weintrinken im Sommer nach Galizien, im Herbst zu meinem Lieblingsflohmarkt in die Schweiz, im Winter zum Splitboarden auf die Lofoten und zur endlosen Nacht zum Nordlichter gucken nach Lappland. Bisschen geschummelt mit „einem“ Ort, aber jeder hat eben seinen speziellen Jahreszeitenzauber.
Wie einfach ist es tatsächlich einen schönen Stellplatz für die Nacht zu finden? Müsst ihr oft auf einen Campingplatz?
Mit den richtigen Tools, ein bisschen Erfahrung und einem guten Bauchgefühl findet man schnell einen schönen Stellplatz. Wir haben da gelernt zu unterscheiden, ob wir einen Platz brauchen, der schön ist und gut für „Draußenzeit“ ist, ob man arbeiten muss und gutes Netz braucht oder ein bisschen Sicherheit und Verkehrsanbindung für einen Städtebesuch ganz oben auf der Liste stehen. Da wir ziemlich autark campen können, fahren wir Campingplätze meist nur an, wenn wir deren Einrichtungen wie Waschmaschinen, Sauna oder Strandzugang nutzen wollen. Für’s Wasser auffüllen, Grauwasser und Klo entleeren kommen wir gut mit Stellplätzen, die ein paar Euros kosten oder speziellen Versorgungsstationen aus. Am liebsten stehen wir wild. Wobei wild stehen natürlich nicht wildern heißt. Wir sind sehr bedacht an unseren Plätzen nichts außer eine schöne Erinnerung zurückzulassen.
Ist die Suche nach einem Platz, nach Restaurants und Surfspots etc. auf Dauer anstrengend? Hast du Tipps für einen Urlaub mit Camper?
Als „Vannomade“ ist man ständig am Suchen: Wo schlaf ich? Darf ich da überhaupt schlafen? Wo wasche ich? Wo gibt’s den besten Bäcker? Wo geht’s zum Strand? Wo gehen die Locals hin? Wo kann ich mein Abwasser entsorgen? Wo ist es vielleicht gefährlich? Wo ist dieses Café mit dem Hinterhof? Wo gibt’s denn hier mal Handynetz? An jedem Platz beginnt die Suche nach allen Grund- und Sonderbedürfnissen wieder aufs Neue. Die ganze Vanlife-Logistik ist manchmal sehr kräftezehrend, vor allem wenn nebenher noch gearbeitet wird oder eine unvorhergesehene Panne auftritt. Plant man diese Zeit aber wohlwissentlich ein oder Routen voraus, ist alles entspannt.
Unser Tipp für Vollzeitreisende ist deswegen: teilt ein bisschen in Freizeit-, Transfer- und Arbeitstage ein.
Bei einem zweiwöchigen Urlaub ist natürlich alles relaxter und spontaner, da kann man auch mal zwei Nächte in Folge vom polizeilichen Klopfen geweckt werden. Schläft man aber jede Nacht im Van, wünscht man sich an der Stelle ein bisschen mehr Schlafkomfort. Gute Tools zum Stellplatz finden sind zum Beispiel: CamperContact oder park4night. Auf der Fahrt in den Urlaub bieten auch einige Bauernhöfe einen Stellplatz im Grünen, frische Milch und einen Weckservice per Hahn an. In Restaurants springen wir meist nur rein, wenn wir eh aufm Berg sind oder uns etwas anlacht. Sonst wird meistens im Van gekocht mit dem „The Great Outdoors – Winter Cooking“ Buch. Den Autor und Koch Markus Sämmer haben wir mal im Skigebiet kennengelernt und anschließend die Gestaltung und Illustration für sein Buch übernommen.
Um tolle Plätze kennenzulernen haben sich bei uns zwei Sachen bewährt: Die Communities auf Facebook oder Instagram nutzen und nach Tipps fragen, denn nichts ist besser als ein Hinweis von Camper zu Camper.
Hast du Hacks für Surf Camping Trips?
Oh ja, ein paar Kleinigkeiten haben uns schon in den jeweiligen Situation sehr glücklich gemacht:
• Eine Teleskopleiter zum diebessicheren Verstauen der Surfboards auf dem Dach,
• Auffahrkeile zum gerade stehen und damit das Wasser nach dem Duschen richtig abläuft
• Ein labbriger Plastikeimer als Auffangbehälter und Waschgelegenheit für salzige Neos,
• Kleiderbügel für die Neos zum Aufhängen
• Duftende Mückenkerzen aus Orangen und Öl selber machen,
• Stellplätze über Magicseaweed suchen,
• Beaches mit Stranddusche wählen
• Einen Zweitschlüssel ohne Elektrik dabeihaben,
• Natur und wilde Dünen schützen: Laufe auf vorgesehenen Wegen.
• Und: nimm mehr Müll vom Strand zurück, als du hingebracht hast!
Was sind die größten Probleme im Bus-Alltag?
Was in vier Wänden und mit klassischem Büro tagtäglich gegeben ist, das müssen wir uns oft mit viel Mühe einrichten. Keine Routine zu haben und gleichzeitig auch im Büro zu leben, kann etwas tückisch sein. Dafür haben wir den Bonus der flexiblen Arbeitszeiten und -orte und unendlich viel Inspiration, die wir uns in Mutter Natur holen können. Arbeiten, wenn die Skipisten überlaufen sind und in vollkommender Ruhe eine Splitboard-Tour gehen, wenn alle zurück am Schreibtisch oder im Stau sind.
Stress und Vanlife verträgt sich nicht besonders gut: die Straße ist unberechenbar und manchmal ist man einfach abhängig von äußeren Umständen. In Island kann mal wetterbedingt eine Straße gesperrt sein, in Portugal die Tankestelle geschlossen oder ein Bekannter aus Deutschland klopft am Arlbergpass ans Auto – man weiß nie was kommt. Deswegen haben wir auch Experimente wie acht Stunden arbeiten und eine Strecke von sechs Stunden am gleichen Tag fahren nach einmaligen Versuch gelassen. Die Fahrten brauchen einfach ihre Zeit und auch das Thema Ressourcen kostet unglaublich viel mehr Aufwand als früher, dreht man ja nun nicht einfach nur den Wasserhahn auf und hat fließendes Wasser.
Wie macht ihr es mit Kochen auf so engen Raum? Hast du ein Lieblingsrezept für uns?
Da hab ich meistens den Kochhut auf und Paul muss dafür spülen ;). Im Prinzip sind die Möglichkeiten trotz weniger Quadratmeter auch nur auf zwei Gasflammen und Lagerfeuer limitiert und damit lässt sich verdammt viel umsetzen. Es bedarf nur einer guten Vorbereitung und unverzichtbar sind stromlose Küchengeräte geworden: Nudelholz, Stampfer und Handrührgerät. Hallo Steinzeit! Wir kochen trotzdem fast immer im Bjørn und lassen uns von regionaler Küche und Märkten inspirieren.
Mein Alltime Favorite sind Pfannkuchen. Die kann es zum Frühstück geben, als herzhaften Snack mit Schinken und Käse oder kalt als Wraps, wunderbar zum Reste zu Neukreationen verwerten. Ich wollte aber auch unbedingt mal dieses Jamie Oliver Rezept von der Pizza in der Pfanne ausprobieren.
In den knapp 2 Jahren ist wahrscheinlich extrem viel passiert. Welche Erlebnisse haben dich am stärksten geprägt?
Eine der aufregendsten Erlebnisse war unser Filmdreh mit dem ZDF in Österreich letzten Februar. So etwas hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir tatsächlich mal mit unserer verrückten Idee im Fernsehen landen. Natürlich haben wir diese tolle Möglichkeit wahrgenommen. Die Woche davor hatten wir uns mit Freunden in den Bergen verabredet und so zufällig einen zauberhaften Platz mit Blick ins Inntal gefunden. Den Tag vor dem Dreh war ich dann aufgeregt wie vorm 1. Date. Das war es im Prinzip ja auch: unser erstes Date mit dem Fernsehen. Zum Glück lief das so entspannt und locker, dass wir mit der netten Redakteurin Joanna uns direkt noch zum Schnitzel essen verabredet haben und so den Tag mit Gesprächen aus unserer Nomaden-Welt und ihrer Fernseh-Welt ausklingen lassen haben.
Diesen Winter waren wir für einen langen Roadtrip in Finnland, das war das extremste Camping, das wir erlebt haben. Nachts bei -32 Grad, alle 3 Nächte die Gasflasche wechseln, die Kälte ist durch jede Ritze reingekrochen und hat Eisschleier wie weiße Spuren hinterlassen. Ich hab aber einige der tollsten Dinge in meinem Leben gemacht: Nordlichter aus der Dachluke vom Bjørn bewundert bis die Nasenspitze eingefroren ist. Mit sechs Huskies einen Schlitten durch die weiße Landschaft Lapplands gelenkt und nichts außer dem rhythmischen Hecheln der Hunde gehört. Mit dem Splitboard bei eisigen Minusgraden auf die finnischen Fjells aufgestiegen und einsame Abfahrten durch den Wald genossen. Die Bäume sehen aus wie Fantasiegestalten, so tief beugen sie sich unter der Last des Schnees.
Zwischen all diesen famosen Erfahrungen haben wir aber auch ganz viel geredet, über uns, über unsere Visionen und was Heimat und zuhause für uns bedeutet und haben da einige Erkenntnisse gesammelt. Insofern war es eine sehr bewegte Zeit.
Ihr seid beide in der Kreativ Branche tätig. Wie klappt es mit dem Arbeiten von unterwegs?
Im früheren Leben waren wir Experten für kreative Werbung. Heute sind wir das immer noch, nur dass unser Office auf Rädern ist. Paul ist erfahrener Quereinsteiger mit einem Faible für Strukturen und Prozesse, was im Projektmanagement und in der Beratung sehr hilfreich ist. Ich habe mit meinem Mediendesignstudium die Liebe zur Gestaltung vertieft und anschließend als Art Directorin, Illustratorin und Kreativkonzepterin in Agenturen gearbeitet. Heute bieten wir all das als fahrendes Bureau Creative. Und die Nachfrage ist genauso breit gefächert wie das Angebot.
Wir sind mit einem Job gestartet, der genau den ersten Monat finanziert hat. Heute müssen wir oft Projekte ablehnen oder weiterleiten, weil sich inzwischen so viele tolle Möglichkeiten entwickelt haben.
Das ganze Thema ortsunabhängig arbeiten und vor allem eine kleine Agentur aufzubauen und zu führen war trotzdem neu für uns und wir konnten da leider wenig abgucken, sondern mussten unsere Prozesse und Routinen selber evaluieren. Vor allem die Themen Strom, Internet, Datensicherung und Abstimmung waren elementar. Jetzt können wir uns zurücklehnen und problemlos vom Atlantik oder den Alpen kreativ sein und das auch unseren Kunden kommunizieren. Mein Arbeitsplatz steht jeden Tag in einem anderen Land und der Blick aus dem Fenster ist nie gleich. Das ist schon geil!
Manche Routinen und Strukturen sind als Kontrast zu dem sonst sehr freien Lebensstil auch notwendig. Nach wie vor gibt es nämlich keinen klaren Arbeitsalltag, und das ist gut so. Denn größtmögliche Freiheit bedeutet für uns wie für alle digitalen Nomaden, weitestgehend dann zu arbeiten, wann wir es wollen.
Dass eine Agentur ohne festen Standort funktionieren kann, das leben wir ja schon vor. Für alle, die es gerne nachmachen wollen, haben wir unser Vanlife Lexikon geschaffen: http://vannomaden.de/lexicon/
Kannst du dir eine Rückkehr in einen normalen 40 Stunden Job mit geregeltem Alltag überhaupt noch vorstellen?
Jeder Job hat seine Vor- und Nachteile. Die Freiheit, die ich gerade erleben darf gefällt mir natürlich schon extrem gut und zeigt mir vor allem auch, dass ich als freiberufliche Kreative wunderbar leben, dass ich nicht wegen meinem Arbeitsgeber gebucht werde, sondern wegen dem, was ich selber fabriziere und nebenher auch noch viel Zeit für meine Hobbies habe. Das ist extrem schön. Trotzdem war mir immer klar, dass ich nicht mein Leben lang Vannomade sein werde und wenn der Wechsel kommt, dann freu ich mich drauf, irgendwo wieder anzukommen. Oder aus dem rollendem Bureau Creative wird mal eine größere Agentur mit festen Standort. Eine andere Idee war auch, Kreativeinheiten zu gründen, die je nach Kunde und Anforderungen in Vans ausschwärmen. Also mal sehen, was beruflich in welcher Form passieren wird, ob fest oder frei, als Nomade oder als Heimkehrer, ich bin prinzipiell überhaupt nicht festgelegt.
Habt ihr Angst, dass bei euch eingebrochen wird und euer Büro geklaut wird? Wie habt ihr das gesichert?
Wer im Van sitzt, denkt ja manchmal, dass jeder Passant ins Auto reinschaut und man ja fast schon beobachtet wird. Quatsch! Denkt mal an die Zeit, wo ihr euch nicht für Campingbusse interessiert habt, wie viele habt ihr in den Straßen rumstehen sehen? Richtig! Kaum einen. Das Auge ist eben geschärft und man ist auf bestimmte Dinge sensibilisiert. So wie den neuen Bikini, den plötzlich alle haben. Mit ein bisschen Vorsicht kann man auch total angstfrei leben. Nie auf Raststätten übernachten, sondern lieber ins Abseits fahren. Da sind auch keine Diebe, denn die haben keinen Bock irgendwo aufs Land rauszufahren, in der Hoffnung, dass da vielleicht ein Camper steht, den man ausrauben kann. Auf stark befahrenen Straßen, größeren Städten und Knotenpunkten ist es natürlich gefährlicher, weil der Fluchtweg direkt vor der Haustür liegt. Der beste Schutz sind aber trotzdem unserer Meinung nach die eigenen Augen und Ohren. Schaut euch gut um, hört euch um, quatscht mit Locals (auch für spektakuläre Insidertipps) und hört auf’s Bauchgefühl – wenn das nicht stimmt, dann kann man immer noch einfach weiterfahren und den nächsten Campingplatz ansteuern. Und für alles weitere haben wir einen Safe 😉
Gibt es einen Alltag bei euch oder ist jeder Tag anders?
Den Alltag haben wir zusammen mit einigen Umzugskisten zurückgelassen und das ist genauso spannend, wie auch anstrengend. Jeder Tag bringt neue Überraschungen. Wenn sowohl Umfeld, als auch Arbeit und Freizeit selbstbestimmt zu gestalten sind, dann sehnt man sich fast schon wieder nach ein paar Routinen. Vielleicht ist das was deutsches, vielleicht ist der Mensch einfach ein Gewohnheitstier? Jetzt gönnen uns auch mal einen typischen Sonntag im Bett, sind den ganzen Tag im Jogger, gucken Filme oder bestellen uns Pizza. (Ja das geht tatsächlich auch ohne Adresse). Wir haben uns selbst unter Druck gesetzt, alle Tage so zu füllen, dass man auch glücklich ist. Nichtstun wurde unmöglich. Das hat uns ziemlich gestresst. Langeweile gehört eben auch zum glücklich sein. Die Erkenntnis hat uns voll befreit.
Was nervt euch am Leben im Van?
Manchmal, wenn wir so zwischen zwei Reisen hängen, dann fühlt sich das so seltsam random an einem Ort zu sein.
Es ist, wie wenn du am Bahnhof auf deinen Anschlusszug wartest. Dann bummelst du etwas rum. Aber wenn das ständig ist, bist du immer auf dem Umsteigegleis. Weder richtig in dem Abenteuer davor, noch in dem danach so richtig.
Wir versuchen deswegen jetzt in Touren zu denken. Dazwischen bleiben wir dann irgendwo auch mal für ein paar Wochen, zum Beispiel bei der Familie oder an einem festen Stellplatz. Es ist wie in einem Buch. Da gibt es Intro, Hauptteil und Ende. Wir waren immer im Hauptteil, selten länger als fünf Tage an einem Ort. So hatten wir nie Zeit, zu reflektieren und runterzukommen.
Wie ist es als Paar auf so lange Zeit auf so engem Raum zu sein?
Manchmal sind wir selber überrascht, wie toll wir uns beruflich ergänzen und trotzdem privat auf einer Wellenlänge sind. Wir würden aber trotzdem lügen, wenn wir sagen, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Natürlich gibt es bei zwei Menschen, Partner und Kollegen mal Reibereien.
Was wir dann machen? Reden und Verständnis zeigen. Türen knallen und beleidigt den „Raum verlassen“ bringt vielleicht für ne halbe Stunde was. Grad im Winter will man dann wieder rein ins Warme. Prinzipiell ist der Grund für einen Streit ist ja oft ein nicht erfülltes oder verletztes Bedürfnis und das muss man herausfinden und behandeln.
Ansonsten versuchen wir, dass jeder auch seinen Freiraum hat, Zeit für sich und vor allem seine ganz eigenen Hobbies und Dinge, die ihm Spaß machen. Und so geht Paul mal zum Warhammer spielen oder joggen, während ich ins Museum geht oder ins Skizzenbuch kritzle.
Wir haben bei unserer Abreise alle unsere Freunde in ein Gästebuch schreiben lassen – manchmal, wenn wir genervt sind, dann schauen wir da rein, das hilft auch!
Was schon auch spannend ist, den Partner durch diese intensive Form der Beziehung auf so vielen Ebenen kennenzulernen und so hab ich in Paul nicht nur meinen Freund, sondern auch meinen besten Kumpel, Sportsfreund und Geschäftspartner gefunden.
Wie teuer ist das Leben im Bus?
Das kommt natürlich ganz auf Land, Leben und Lanz an ;).
Prinzipiell günstiger als mein Leben zuvor, weil ich weniger (ver)brauche.
Pro Monat gibt’s natürlich trotzdem Fixkosten: die Versicherung, Sprit, Lebensmittel, Gas, Waschsalons, Übernachtungsplätze, Mautzölle oder Vignetten, den Handyvertrag. Darauf kommt dann noch die Spaßpauschale, wenn man auf der Hütte essen geht oder mal nen Surfkurs macht. Ich würde sagen ein gemütliches Leben als Agentur im Van, bei dem man nicht den Eindruck hat auf etwas verzichten zu müssen kostet pro Kopf so 800-1000 Euro.
Auf welche 5 Dinge möchtest du in dem Bus nicht verzichten?
Auf Musik oder Hörspiele für lange Fahrten, zum laut mitsingen oder Kopfnicken.
Die Lieblingsdecke: als Abschiedsgeschenk von meinen Kollegen von Jung von Matt überreicht bereist sie mit mir alle Länder. Übrigens wird mit jedem Kauf einer solchen Decke eine weitere an Obdachlose gespendet. Die Gießkanne: ein kleines Alltagsutensil, aber die rettet uns oft bei der Frischwasserversorgung. Die Longboards: zum schnellen mobilen Erkunden der Umgebung, einem lockeren Cruise zum Bäcker oder zum wellenchecken.
Last but not least: den Paul.
Welche Tipps würdest du angehenden Vannomaden geben?
- Ausprobieren: mietet euch erstmal einen Van, um herauszufinden, welche Größe Spaß macht und welche Maße man braucht. Wir haben damals beim Händler ausgeliehen, aber es gibt auch tolle Plattformen, wo man sich vom Feuerwehrauto bis zum Luxusliner alles ausleihen kann. Um die Campingwelt kennenzulernen und zu wissen, welche Modelle und Marken es überhaupt gibt, lohnt sich ein Streunen über die großen Messen wie Caravan Salon in Düsseldorf oder CMT in Stuttgart.
Kennt eure Bedürfnisse (oder lernt sie kennen) und sucht danach den richtigen Van aus.
- Minimalismus: Eigentlich ja klar, wenn man von einer Wohnung in einen Bus zieht, dann passt plötzlich nicht mehr so viel Zeug rein. In all der Vorfreude hat’s uns aber dann eiskalt mit dem Ausmisten erwischt. Oh Gott – da gab’s so viele Sachen der Kategorie „Könnte ich mal brauchen“, die jetzt alle verkauft, verschenkt oder gespendet sind. So hart es am Anfang war, inzwischen genieße ich es voll, nur noch Sachen zu kaufen, die ich brauche und alles, was ich besitze auch zu benutzen.
Könnte aber nicht schaden, sich auf das minimalistische Leben ein bisschen vorzubereiten.
- Keine Angst vorm Scheitern! Manche Sachen im Leben sind eben Experimente. So wie das komplizierte Kuchenrezept oder der erste Turn auf dem neuen Board. Die glücken oder eben nicht. Wichtig ist aber doch, dass man auch scheitern darf und die Welt immer noch in Ordnung ist. Für mich ist „Vannomaden“ auch als Experiment gestartet und wenn es nach drei Monaten nicht geklappt hätte, dann hätten wir im schlimmsten Falle eine lange Reise gehabt. „And in the end of the day, your feet should be dirty, your hair messy and your eyes sparkling.“ (Shanti) In dem Sinne: Rausgehen & ausprobieren!