Es war mal wieder an der Zeit. Ich musste los. Wohin genau, keine Ahnung. Eigentlich gab es sogar gar kein Ziel, sondern nur einen Wunsch – Freiheit.

Freiheit und Glück. Ich wusste noch nicht, wie man diese Gefühle auf einer regulären Basis bei sich einstellen kann, aber für die ersten drei Jahre meiner Reiseerfahrungen genügten die paar Stunden täglich, die ich in Freiheit und Glück auf meinem Surfboard verbrachte. Fernab von allem, was ich bisher in meinem Leben gelernt hatte und mit allen Salzwassern gehirn-gewaschen, badete mein kleines Herz jedes Mal in riesen Freude, wenn ich Zeit im Meer verbrachte.

Ich war also mal wieder der Freiheit hinterher und hatte bereits ein paar Monate auf Bali verbracht und hatte kaum mehr Budget, als die Insel Sumbawa meinen Namen rief. Auf Sumbawa war ich noch nie, von Lakey Peak hatte ich allerdings schon viel gehört. Lust auf ein Abenteuer bestand, aber mein Portemonnaie war bereits erschöpft von all den vorherigen Insel-Ausgaben. War ein Abenteuer also noch drin, bevor sich das Geld endgültig verabschiedete? „Mach keine Dummheiten, du brauchst schließlich noch ein Rückflugticket nach Deutschland“, sprach die Vernunft. Vernunft und Abenteuer? „Passt nicht wirklich zusammen“, wandte mein Herz ein. Also schaltete ich den Kopf auf Stand-by-Modus und überlies meinem südafrikanischen Adventure Buddy das Schmieden eines Plans, der uns einen low-to-no-budget Surftrip nach Sumbawa ermöglichen würde. In Sachen Planung fernab von Logik, konnte mein deutscher Verstand mit der Fantasie des Südafrikaners nicht wirklich mithalten. Doch mein Herz fand gut, was er tat, also ließ ich mich darauf ein.

Zentrales Instrument des südafrikanischen Masterplans stellte ein sogenanntes ‚Dicapac‘ dar, eine günstige Variante zu den professionellen und teuren wasserfesten Kameragehäusen. Der Plan bestand darin meine Spiegelreflexkamera ins hoffentlich wasserdichte Gehäuse zu verfrachten, um so Bilder vom Wasser aus schießen zu können, die dann anschließend von interessierten Surfern gekauft werden würden. Interessierte Surfer, die sich hoffentlich während der Regenzeit in Lakey aufhielten. Interessierte Surfer, die Bilder von zwei Spinnern mit einer Kamera im Plastikgehäuse kauften. Kurz gesagt, wir hatten keine Ahnung ob überhaupt Leute dort waren, ob andere Wasserfotografen bereits ihr Revier markierten, ob unsere Fotos wirklich verkaufswürdig genug seien, oder ob die Natur überhaupt Fotomöglichkeiten in Form von Swell bot. All die Fragen konnten nur durch einen Schritt auf unbekanntes Terrain beantwortet werden. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Ein Plan wie eine Seifenblase im Sommerwind – entweder sofort zerstört oder getragen zu unbekannten, exotischen Ufern. Wir waren bereit, dieses Risiko auf uns zunehmen. Ich kratze meine letzten Taler zusammen und wir beluden das Motorbike mit Surfboards, Kamera, Gitarre und Laptop. 550 km trennten uns von perfekten Wellen, von Sieg oder Niederlage. Würde es uns möglich sein, einen tollen Surftrip zu erleben oder müssten wir uns Geld leihen, um nach Ankunft bereits wieder den Heimweg antreten zu können? Wir hatten gerade einmal genug Bares dabei um Sprit, Fährfahrten und eine Woche Unterkunft in Lakey zu bezahlen. Die Rückreise war nicht mit einkalkuliert, denn wir wollten keine Rückreise antreten. Plan B existierte nicht. Wir setzten alles auf eine Karte, als wir die 22-stündige Fahrt ins Ungewisse antraten. Als sich Ungewissheit langsam zu Gewissheit verformte, wir Bali per Fähre verließen, Serpentinen entlang Meeresklippen befuhren, Dorfstraßen durchquerten, für Ziegen, Kühe und Hunde bremsten, uns mit Kokosnüssen und Reis stärkten, und wir Lakey immer näher kamen, breitete sich ein beruhigtes Grinsen in meinem Gesicht aus. Wir hatten es geschafft, waren unversehrt auf Sumbawa angekommen und alles schien sich gemäß unseren Träumen zu entfalten.

Gleich nachdem wir eine günstige Unterkunft unser Eigen nennen konnten, bepackten wir das Bike wieder mit dem nötigen Equipment, um ausgetüftelte Theorie in Praxis umzusetzen. Der erste Spot, an dem wir unseren Plan ausprobierten, war ‚Periscopes‘. Da das ‚Dicapac‘ nicht eins der sichersten Wassergehäuse ist, hatten als Unterstützung ein rotes Softboard aus Bali mitgebracht, das besonders guten Auftrieb hat und Fotograf und Kamera sicher in Position hielt. Und der Plan erwies sich trotz mangelnder Ausweichmöglichkeiten als wohl durchdacht und erfolgreich. Genug Kunden aka Line-Up-Kameraden gab es auch, und diese waren erfreut, dass sich jemand die Mühe machte, ihre Sessions festzuhalten. Alles in allem, hatten wir den Jackpot geknackt. Neben der Möglichkeit das Meer als Büro zu nutzen und unseren Surftrip zu finanzieren, während wir ihn genossen, hatte der Plan noch einen weiteren Vorteil. Da Mister South Africa und ich abwechselnd fotografierten, erhielten nicht nur die anderen Surfer Bilder, sondern auch wir selbst, und zwar viele. Umsonst. Jeden Tag. Auf diese Weise war man besonders erpicht, eine gute Performance abzuliefern und nebenbei konnte man nach jeder Session seine Verbesserungen bewundern, beziehungsweise vermissen. Das Beste, was mir im Aufstieg der Surfleiter passieren konnte.

Die Tage im Paradies vergingen und unser ehemals riskanter Aufenthalt fühlte sich bald schon selbstverständlich an. Zu jeder Session nahmen wir die Kamera mit und fotografierten im Wechsel. Dann ging es nach Hause, die Bilder wurden aussortiert und die Surfer kamen meist schon zu uns, um ihre Bilder zu beäugen und zu erwerben. Man kann sagen, es lief gut. Wir konnten Essen und Unterkunft bezahlen und so unseren Surftrip genießen.Nach kürzester Zeit fiel die anfängliche Last ab und statt Spots auszuwählen, and denen möglichst viele Surfer waren, machten wir uns entgegen des Verstandes auf die Jagd nach leeren Line-Ups. Es war ein Leichtes sich von den verlockenden Surfspots mit kristallklarem Wasser und den entspannten Vibes der Insel einnehmen zu lassen. Die Gedanken an Finanzen schmolzen auf unseren Boards wie Wachs in der Sonne.

Ja, wir hatten Spaß und gingen richtig darin auf nur uns selbst zu shooten und über unsere Styles zu philosophieren, Fehler auszumerzen und Turns zu perfektionieren. Man kann sagen die träumerische Insellandschaft zog uns in ihren Bann und die entspannte Surferhaltung breitete sich in uns aus. Wir genossen zu sehr und verfielen dem faulen Flair. Wir wurden die Art Surfer, die wir nie werden wollten. Faul und selbstverliebt.

Was passiert mit faulen und selbstverliebten Menschen? Sie werden arm. Nun ja, grundsätzlich mag dies nicht wirklich auf die Realität zutreffen, doch unsere Realität umschrieb dieser Satz genau. Mein Surfstyle schien sich zu verbessern, doch wir mussten immer mehr Abstriche machen. Statt Bintang und Burgern, waren jetzt nur noch 10 Cent preiswerte Fertignudelsuppen, in Kombination mit Ei und labbrigem Brötchen als Beilage, drin. Im Wasser stylten wir, doch unser Abendbrot hatte nicht mehr viel mit Stil zu tun. Weniger stilvoll, dafür umso effektiver in der Motivation, verdeutlichten unseren Grundnahrungsmittel unsere finanzielle Situation und inspirierten uns so zu Veränderung.

Zu diesem Zeitpunkt lebten wir nicht wirklich zentral, daher war der Entschluss, in die Nähe der Hauptsurfspots zu ziehen, schnell gefallen. Genau vor den zwei beliebtesten Spots, Lakey Peak und Lakey Pipe, schlugen wir erneut unser Quartier auf und begannen wieder frisch motiviert mit der sogenannten Arbeit. Die sogenannte Arbeit entwickelte sich jedoch immer mehr zu wirklicher Arbeit. Gewarnt von unserem vorherigen faulen Fehler, wagten wir es nicht noch einmal, Fotomöglichkeiten auszulassen. Es galten härtere Regeln und unter zwei Surf- und Shootingsessions pro Tag ging gar nichts. Wir mussten raus aufs Meer, egal, welche Wehwehchen uns plagten. Mich erwischte die Kehrseite der Medaille hart. Reefcuts, Sonnenbrand, Rückenschmerzen. Es gab Tage, an denen ich aufwachte und bevor ich die Wellen checkte, inständig hoffte, dass es keine gab. Nur so konnten meine Reefcuts wenigsten für einen Tag trocken bleiben und sich zumindest auf den Weg der Heilung begeben. Unsere Situation jedoch ließ keine Schwäche zu. Wir mussten uns im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser halten. Wo ein Wille ist, ist ja bekannter Maßen auch ein Weg, und so fotografierten wir uns wieder an die Spitze. Ein paar Rupiah hier und da ermöglichten uns weiterhin den Trip. Doch die Begeisterung über unsere erneute Erfolgsreise konnten nicht alle mit uns teilen. Die Einheimischen bekamen mit, dass wir eine gewisse Art von Geschäft betrieben. Klar, wir wohnten direkt neben einem gut besuchten Restaurant und Leute gingen bei uns ein und aus. Wir waren ständig mit der Kamera im Wasser und fotografierten alles, was sich bei drei nicht in der Barrel versteckt hatte.

Sogar dann fotografierten wir noch weiter. Lakey ist klein und wir waren in aller Munde. Nach zweieinhalb Monaten Dauertourismus auch kein Wunder. Es war also an der Zeit, zu gehen. Wir mussten Lakey verlassen. Wir mussten Sumbawa den Rücken kehren. Nach zweieinhalb Monaten war die Zeit gekommen, das Abenteuer zu beenden. Hell yeah.

Auf der einen Seite war ich traurig, denn ich hatte wirklich so sehr an diesem Ort gelebt, dass ich fast dachte, dass ein Leben außerhalb gar nicht mehr existiert. Auf der anderen Seite war ich froh, dass mein Körper sich endlich regenerieren konnte und ich wieder zurück in die Zivilisation kam. Lakey in Sumbawa. Du hast mich zu einer stärkeren Person gemacht, du hast mein Gehör für meinen Herzschlag sensibilisiert und mir Erfahrungen geschenkt, nach denen ich mich gesehnt habe. Du hast mir gezeigt, was wirklich wichtig ist im Leben. Du hast mir beigebracht, dass Herzblut und Leidenschaft die Dinge sind, auf die ich mich konzentrieren soll und du hast über zwei Monate bewiesen, dass Geld immer kommt,

wenn man es braucht. Lakey, my love.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die richtige Menge an Lebenslust reicht aus, um utopische Fantasien in tropische Realitäten zu verwandeln. Das Leben ist voller Magie und Logik wird nur bedingt benötigt. Wir sind frei. Sumbawa hat mir gezeigt, dass ich frei bin, dass ich am Leben bin und damit die Möglichkeit besitze all meine Träume wahr werden zu lassen. Ich brauche keinen Plan B. Wenn man Plan A heiß und innig liebt, geht dieser in Feuer und Flamme auf und setzt eine ganze Welt in Brand. Im positivsten aller Sinne. Das Universum unterstützt jedes Vorhaben, das im Herzen entsteht. Denn wenn man mit dem Herzschlag läuft, läuft man im Rhythmus des Lebens, und damit im Rhythmus ganzer Galaxien.