It is not the end, but the beginning - Christina Wechsel

„Alles ist möglich“, „Die einzigen Grenzen sind in deinem Kopf!“, „Heute ist ein guter Tag, um einen guten Tag zu haben“ – Wir alle kennen diese Art von Sprüchen oder Lebensweisheiten, die bunte Postkarten zieren oder eingerahmt in Cafés hängen. Ihre wahre Bedeutung wird einem aber oft erst bewusst, wenn man selbst eine Herausforderung überwunden hat, oder die Geschichte von jemanden hört, der die Wahrheit hinter diesen Weisheiten durch seinen Lebensweg bestätigt. Christina zum Beispiel. Die Bergsportlerin erlitt innerhalb kurzer Zeit drei Schicksalsschläge und nutzte sie als Chance für einen Neuanfang.

Hallo Christina, dein Leben hat sich 2006 dramatisch verändert… Was ist geschehen? 

2006 hatte ich einen großen Traum: meinen Herzenswunsch von einer Weltreise. Zwei Monate nachdem ich das All-Around-The-World-Ticket gebucht und meinen Job gekündigt hatte, erkrankte meine Mutter an Krebs. Wenige Wochen später verlor sie den Kampf gegen die Krankheit. Für mich brach eine Welt zusammen, weil ich nicht nur meine Mutter, sondern auch meine beste Freundin, meine Mentorin und Seelenverwandte verloren habe.

Jess Kimura

Foto: Andrea Muehleck

Als ich Mami´s Sachen aussortierte, ist mir ihr Lieblingsbuch „Der Alchemist“ von Paolo Coelho in die Hände gefallen. Ich habe es gelesen und es erinnerte mich an meinen großen Traum von einer Weltreise. Nach einigen Monaten beschloss ich – auch für meine Mutter – meinen Traum wahr werden zu lassen und flog nach Australien. Ich bereiste Australien und Neuseeland fünf Monate lang und war gerade dabei, Heilung zu erfahren.

Knapp ein Jahr nach dem Heimgang meiner Mutter erlitten wir – ich war mit meinem besten Freund Ronny, meiner Freundin Valerie und einer Backpackerin unterwegs – auf dem Weg zum Ayers Rock, mitten im Outback, einen schweren Autounfall. Mein Freund Ronny starb noch am Unfallort. Drei Wochen kämpften die Ärzte um mein Leben und mussten meinen linken Unterschenkel amputieren.

Es folgte eine körperlich und seelisch sehr schmerzhafte Zeit mit starken Phantomschmerzen, 20 Operationen, sechs Monaten Krankenhaus und REHA. Was mir aber von Anfang an bewusst war: Ich habe vom Leben eine zweite Chance geschenkt bekommen, um herauszufinden, wie ich ein erfülltes und glückliches Leben führen kann.

Eins unserer machtvollsten Geschenke im Leben ist unser freier Wille. Damit haben wir immer eine Wahl und können uns entscheiden wie wir auf das Leben reagieren wollen. 

Was oder wer hat dir dabei geholfen, diese schwierige Zeit zu durchstehen und die Hoffnung nicht zu verlieren?

In erster Linie waren es mein Vater und mein Bruder, die sofort, nachdem sie vom Unfall erfahren haben, zu mir nach Australien geflogen sind. Was mich am meisten motiviert hat, um mein Leben zu kämpfen, war der Verlust meiner Mutter. Unsere ganze Familie hat nach ihrem Tod so darunter gelitten, dass ich ihr das nicht auch noch antun konnte. Aus Liebe zu meinem Vater und meinem Bruder habe ich gekämpft. Wenn es etwas gibt, für das es sich zu kämpfen loht, ist es die Liebe. Mein spiritueller Glaube schenkte mir die Kraft durch diese Zeit getragen zu werden. Und zu guter Letzt standen meine starke Familie und mein gesamter Freundeskreis hinter mir und schenkten mir unglaubliche Hoffnung. Sie haben nie daran gezweifelt, dass ich wieder ein erfülltes Leben führen kann und glaubten an mich und meine Fähigkeiten. 

Inwiefern hat sich deine Sicht auf das Leben dadurch verändert?

Durch den Unfall wurde mir bewusst, dass sich das Leben in nur einer Sekunde für immer verändern kann. Umso wichtiger ist es mir heute, all meine Träume wirklich zu leben. Anfangs dachte ich mir, dass ich dem Schicksal ausgeliefert bin und keine Kontrolle über mein Leben habe. Mit der Zeit wurde mir bewusst, dass Kontrolle eine Illusion ist. Schicksalsschläge passieren nun mal im Leben, darauf haben wir keinen Einfluss. Wir können das Leben nicht wie eine Exceltabelle kontrollieren. Wir sind aber auch nicht dem Schicksal ausgeliefert. Eins unserer machtvollsten Geschenke im Leben ist unser freier Wille. Damit haben wir immer eine Wahl und können uns entscheiden, WIE wir auf das Leben reagieren wollen. Somit komme ich aus der Opferrolle und übernehme Verantwortung für mein Leben. 

Foto: Andrea Muehleck

Durch meine Amputation hatte ich anfangs das Gefühl, nicht mehr vollständig zu sein. Nicht mehr „ganz“ zu sein. Ich durfte erfahren, dass nichts und niemand mir meine Erfahrungen amputieren kann. Nichts und niemand kann mir meinen Mindshift amputieren und nichts und niemand kann mir meinen Spirit und meine wahre Essenz amputieren. Ich bin immer vollständig. 

Foto: Andrea Muehleck

Alle Helden-Geschichten beinhalten einen Kampf, ein Tal, durch das der Held gehen muss, bevor er gestärkt daraus hervor geht. Würdest du auch sagen, dass dich diese Schicksalsschläge stärker gemacht haben?

Erstmal vielen herzlichen Dank, dass du meine Geschichte als Heldenreise siehst. Diese Schicksalsschläge zeigten mir, welch innere Stärke in mir wohnt. Wenn man mir das alles vor diesen Lebenskrisen erzählt hätte, hätte ich das dieser Person niemals geglaubt! Gerade in den Momenten größter Verzweiflung haben wir die Chance, unser wahres Selbst zu finden und ganzheitliche Heilung zu erfahren. 

Die einzigen Limitierungen, die wir haben, sind in unserem Kopf – siehst du das auch so?

Auf jeden Fall! Und solange wir Dinge nicht ausprobieren, können wir gar nicht erfahren, ob sie möglich sind oder nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass unsere Möglichkeiten sogar grenzenlos werden, wenn wir unserem Herzensweg folgen und an uns selbst glauben.

Welchen Stellenwert hatte dein geliebter Sport für deine Genesung?

Schon als Kind bedeutete mir der Sport sehr viel, weil er ein Ventil für die ganzen Hummelschwärme in meinem Hintern war. Ich liebte Mannschaftssport, weil er mir das Gefühl von Dazugehörigkeit schenkte. Eine der wichtigsten Fragen, die ich mir nach der Amputation stellte, war, ob ich jemals wieder meinen Sport ausüben kann. Nach und nach habe ich einen Weg gefunden, wie ich noch Sport machen kann. Es öffneten sich viele verschiedene Möglichkeiten und das gab mir viel Selbstwertgefühl. Es stimmt einfach, „es finden sich immer Wege“. Sobald ich etwas „neues Altes“ gelernt hatte – angefangen von den ersten Schritten bis zu einer Zürichsee-Überquerung – motivierte mich das etwas komplett Neues wie z. B. das Sportklettern auszuprobieren. Mein Unfall zeigte mir, dass es zu jedem Problem immer eine Lösung gibt. Ich darf solche Herausforderungen als Chance betrachten, kreativ mit der Lösungsfindung zu sein. Auch wenn es Skifahren auf einem Bein und mit Skikrücken ist.

Foto: Andrea Muehleck

Wie wichtig ist es dir, Zeit in der Natur zu verbringen?

Zeit in der Natur zu verbringen, bedeutet mir sehr viel. Als Halbschweizerin (Mami) schenken mir die Berge viel Kraft. Es bringt mich in einen Flow-Zustand, Zeit in der Natur zu verbringen. Es macht meinen Kopf frei, um wieder durchzuatmen, bei mir anzukommen und schenkt mir das Gefühl Teil vom großen Ganzen zu sein. Ich bin Teil der Natur. 

Was sind die drei wichtigsten Lektionen, die du auf deinem Weg gelernt hast?

Ich bin dem Schicksal nicht ausgeliefert. Ich habe einen eigenen freien Willen, der mir eine Wahl schenkt, WIE ich auf das Leben reagieren kann. Wenn ich meinem authentischen Herzensweg folge, werden meine Möglichkeiten grenzenlos. Keine äußeren Umstände können mir meinen Spirit nehmen und ich bin immer vollständig.

Welche Bücher / Autoren  haben dir bei deiner persönlichen Entwicklung geholfen? Was sollten wir unbedingt lesen?

Schade, dass meine Mami nicht mehr lebt. Die hätte ich als allererste empfohlen 

Bücher:

  • Der Alchemist von Paolo Coelho
  • Der Träumende Delfin von Sergio Bambaren 
  • Mind Over Medicin von Lissa Rankin

Foto: Christina Wechsel

Vielen Dank für deine ehrlichen Antworten! Deine Geschichte ist für mich eine echte Heldenreise und die Bücher, die ich aus deiner Liste noch nicht kenne, werde ich definitiv lesen. Vielen Dank Christina!

Mehr über Christina erfährst du in ihrem Buch „Wer Flügel hat braucht keine Beine“ und auf
ihrem Instagram Account @christina_change_