Jessa Gilbert Art & Snow

Kunst in der Natur

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht! Die Künstlerin Jessa Gilbert fühlte sich zerrissen zwischen ihrem Leben als Künstlerin in Vermont und dem als Freestyle-Snowboarderin. Erst eine Verletzung und ein Umzug nach Vancouver öffneten ihr den Blick für die Kombination von beiden Leidenschaften. Heute lebt sie in British Columbia und arbeitet als Künstlerin und im Winter als Snowboard-Guide in der legendären Baldface Lodge. Ihre einzigartigen Gemälde sind Landschaftsportraits, die auf lebendige Art ihre Erfahrungen und die Atmosphäre in den Bergen einfangen.

Jessa Gilbert Art

Hallo Jessa, wie geht es dir? Wo bist du gerade und was siehst du gerade?

Mir geht’s gut! Ich sitze gerade am Baker Lake im Mt. Baker National Park. Es ist der 12. August und über dem See liegt ein Dunst, der den Blick auf Mt. Baker und Mt. Shuksan in ein weiches Pastell verwandelt.

Du bist wegen deiner Liebe zum Snowboarden und der Natur in die Berge gezogen. Was machen die Berge mit dir?

In den Bergen fühle ich mich bescheiden, klein und voller Ehrfurcht. Ich bin in den sanft geschwungenen Catskills aufgewachsen, wo sich alles urig und freundlich anfühlt, mit ihren weichen Kanten und sanften Hängen. Jetzt lebe ich in British Columbia, wo die Bergketten endlos sind und die Kanten scharf und imposant. Die Berge, ob klein oder groß, haben mir immer eine Pause von der Hektik des Alltags beschert und mich daran erinnert, präsent zu sein. Den Vögeln zuzuhören, den Wolken beim Vorbeiziehen zuzusehen, darüber nachzudenken, was jenseits eines Bergrückens liegt und meine körperlichen Fähigkeiten beim Bewegen im Gelände zu testen. Die Berge sind für mich ein sich ständig verändernder Spielplatz und eine Muse, die mich immer wieder zum Stillhalten auffordert oder mich zu etwas hinzieht. Wenn ich Zeit in den Bergen verbringe, vertieft sich die Verbindung zu anderen. Und ich habe das Glück, eine große Gemeinschaft um mich herum zu haben, die diese Verbindung teilt. Diese Verbindung gibt mir das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das größer ist als ich selbst.

Jessa Gilbert

Kunst in den Bergen

Wir lieben deine Kunstwerke – sie sind viel mehr als nur das Abbild der Berge. Sie scheinen voller Emotionen zu sein… Was möchtest du mit deiner Kunst ausdrücken?

Danke… sie sind voller Emotionen! Ich betrachte meine Gemälde und Zeichnungen als Porträts, die die Stimmung des Ortes, an dem ich war, und seine Vergänglichkeit widerspiegeln. Manchmal drücke ich einen stürmischen Himmel mit einem herannahenden Sturm, ein Abklingen bei Sonnenuntergang oder -aufgang, oder Wasser, das von alpinen Gletschern in enge Bachbetten stürzt, aus. Normalerweise gehe ich nicht mit einem gewünschten Ergebnis an die Bilder heran. Ich bin überzeugt, dass der Prozess zum Ergebnis führt und es besonders wichtig ist, sich dem Moment bewusst zu sein. Allzu oft hetzen wir durch den Alltag und machen keine wirkliche Bestandsaufnahme, wo wir gerade stehen – zumindest habe ich dies eine Zeit lang bei mir selbst beobachtet. Diese Gemälde entstanden, als ich absichtlich langsamer wurde, um wirklich wahrzunehmen, wo ich war und wie es sich anfühlte, dort zu sein. Mit diesen Bildern möchte ich andere an dieser Erfahrung teilhaben lassen, in der Hoffnung, dass sie dazu inspirieren, raus zu gehen, langsamer zu werden und zu erkennen, wie wichtig der Schutz dieser Orte ist.

Jessa Gilbert Art

Irgendwann hast du Liebe zum Abenteuer und zur Natur mit deiner Leidenschaft für Kunst verbunden. Inwiefern hat sich deine Kunst verändert, als du dich dieser Idee geöffnet hast?

Meine Kunst hat sich dramatisch verändert, als ich mir erlaubt habe, meine Leidenschaft für Kunst und Kreativität mit meiner Leidenschaft für Abenteuer und Outdoor-Sport zu verbinden. Ich habe an der Universität Kunst und Kunstgeschichte studiert und mich damals ausschließlich mit figurativen Porträts beschäftigt. Ich hatte nicht das Gefühl, in die Galeriekultur zu passen, da ich auch Freestyle-Snowboarderin und Sportlerin war. Gleichzeitig fühlte ich mich nicht in der  Outdoor-Branche zugehörig, da ich mich von Kunst und Malerei inspirieren ließ. Lange hielt ich meine Liebe zum Outdoor-Sport getrennt von meiner Malerei, da ich keinen Platz für eine Verschmelzung in der Galeriewelt sah, zu der ich so gerne gehören wollte. Als ich 2013 nach BC umzog, stand ich vor einem Neuanfang. Nach einer schweren Knie-OP wurde mir gesagt, dass ich nie wieder snowboarden könne, also blieb in meinem Kopf nur meine Identität als Künstlerin. Ich versuchte, Figuren zu zeichnen und zu malen, aber ich war am Boden zerstört. Nichts konnte mich inspirieren, da ich zu einer viel sitzenden Version meiner selbst reduziert worden war. Ich begann, mich in meiner neuen Heimat (damals Vancouver) umzusehen und war überwältigt von der Größe der Berge, sah zum ersten Mal riesige Kahlschläge, verzweigte Netze von Wanderwegen und einen unglaublich lebendigen Regenwald.

 

Inspiration in der Natur

 

Bei meinen Spaziergängen fiel mir die Kinnlade runter und ich war fasziniert von der Fülle an Flechten und Moos, die sich an jedem Ast dieser überlebensgroßen Bäume festsetzten. Ich begann mein Skizzenbuch mit auf diese Spaziergänge zu nehmen und am Rand zu notieren, was ich sah und wohin ich ging. Nach etwa zwei Jahren in Vancouver und ohne es bewusst zu tun, hatte sich meine Farbpalette auf Grün- und Blautöne verlagert und meine Arbeiten bestanden überwiegend aus Landschaften (obwohl ich sie immer noch als Porträts betrachte, bei denen das Motiv zufällig eine Landschaft ist). Mir wurde klar, dass ich mir selbst aus dem Weg gehen musste. Dass ich aufhören musste, mich in das einzuteilen, was meiner Meinung nach in die Vorstellungen anderer von der Welt passte und dass ich einfach das kreieren sollte, wovon ich mich inspiriert und bereichert fühlte.

 

Jessa Gilbert Art

Foto: Yuri Choufour

Inwiefern unterscheiden sich deine Bilder, die du auf dem Berg gemalt hast, von denen, die im Atelier entstanden sind?

Die Bilder, die ich in den Bergen male, haben eine Flüchtigkeit, die in den Bildern aus dem Atelier, nicht zu sehen ist, zumindest im Prozess. Ich kreiere niemals Kunstwerke von Orten, an denen ich nicht gewesen bin, weil ich glaube, dass es für die Kraft der Bilder wichtig ist, eine persönliche Beziehung zu diesem Ort zu haben. Deshalb basieren die Kunstwerke, die ich im Atelier fertig stelle oder erschaffe, immer noch auf Erfahrungen von diesem Ort. Ich habe nur mehr Zeit, mich damit zu beschäftigen und möglicherweise etwas zu überarbeiten. Am liebsten arbeite ich draußen, da ich mich bei der begrenzten Zeit, schnell aber mit Intention bewegen muss. Diese Kunstwerke sind oft etwas lockerer und das gefällt mir. Sie fühlen sich flüchtig an, weil sie es sind – man hat nur eine gewisse Zeit um dieses Gefühl oder Moment einzufangen und das ist es, wo das wahre Leben des Kunstwerks herkommt.

Welche Maltechnik verwendest du? 

Ich mische in meinen Werken Zeichnung und Malerei und arbeite oft mit Acrylstiften, Aquarellfarben und, wenn ich Zeit habe, mit Acrylfarben. Wenn ich draußen bin, verwende ich normalerweise Aquarellfarben, weil sie ungiftig sind und hebe mir die Acrylfarben für das Atelier auf. Die Arbeit beginnt immer mit einer einzelnen Linienzeichnung – ein Prozess, der alle Teile des Werks in einer einzigen, unendlichen Linie verbindet. 

Ich verwende diese Technik, um lockerer und gestischer zu werden, aber vor allem, weil sie die Verbundenheit aller Teile unserer Umwelt betont; das Land, das Wasser, der Himmel und unsere Wege sind alle miteinander verbunden. Ich bin der Meinung, dass die Kunst beim Erzählen von Geschichten eine Rolle spielt und ich verwende diese Technik und Betonung, um andere daran zu erinnern, dass wir unsere Welt als die Summe ihrer Teile betrachten müssen, um ein gesundes und lebendiges Ökosystem zu erhalten.

Jessa Gilbert Art

Bitte erzähle uns mehr über deine Serie #getoutoftownvibe!

Die #getoutoftownvibe Serie begann in meinem nine-to-five Schreibtischjob in Vancouver. Ich wartete darauf, dass mein Antrag auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung bearbeitet wurde (das dauerte etwa Jahre), und hatte den „Implied Status“, was bedeutet, dass ich nicht umziehen, den Job wechseln, das Land verlassen konnte usw. UND dass ich jeden Tag eine E-Mail aus Kanada erhalten könnte, in der steht: „Danke, nein danke. Bitte verlassen Sie Kanada, sofort“. In diesen zwei Jahren verspürte ich den Drang, alles zu besuchen, zu tun und zu sehen, was möglich war, solange ich noch in BC lebte, und die Orte festzuhalten, die ich besucht habe. Ich nannte diese Serie von Abenteuern den #getoutoftownvibe, denn so fühlte ich mich, wenn ich an einem Freitagnachmittag aus dem Büro in die Berge stürmte – ich wollte einfach nur raus aus der Stadt. Später wurde mein Antrag auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bewilligt, ich zog aus der Stadt weg, aber ich  kreirte meine Bilder immer noch auf dieselbe Weise wie zuvor. Der Prozess des Schaffens während des Abenteuers hat sich gehalten, auch wenn ich jetzt mehr oder weniger außerhalb der Stadt lebe.

Jessa Gilbert Art
Jessa Gilbert Art

Foto: Erin Hogue

Was ist dir wichtig im Leben? Welche Botschaft möchtest du weitergeben?

Das ist eine großartige Frage. Ich konzentriere mich hier mal auf drei wichtige Punkte, die alle auf der Wichtigkeit von Achtsamkeit basieren. Ich bin überzeugt davon, dass es sehr wichtig ist, präsent zu sein, sei es mit anderen, im Moment oder mit uns selbst. In meinem Innersten bin ich ein ängstlicher Überdenker, aber Kunst, Splitboarden, Snowboarden, Zusammenseins mit anderen Menschen, Mountainbiken usw. sind alles bewegende Meditationen, bei denen ich übe, präsent zu sein. Ich glaube daran, dass es wichtig ist, die Welt besser zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Ob es darum geht, eine enge Gemeinschaft zu bilden, zu recyceln, einen Garten anzulegen, Kunst im öffentlichen Raum zu schaffen, lokal oder Second Hand zu kaufen – die Welt und ihre Ressourcen sind endlich und es lohnt sich, darauf zu achten. Außerdem bin ich überzeugt, dass es wichtig ist, in Freude zu investieren, wo immer es möglich ist. Die Leute sagen mir oft: „Früher habe ich gerne gezeichnet, aber dafür habe ich keine Zeit mehr“. Vieles davon mag wahr sein, aber ich glaube, dass wir Zeit für die Dinge haben, für die wir uns Zeit nehmen. Es hat auch gesundheitliche Vorteile, in unser persönliches Glück zu investieren, also wird eine Investition in Freude zu mehr Positivem führen. Mein Skizzenbuch ist nicht teuer und für viele meiner Zeichnungen brauche ich nur fünf Minuten oder weniger, aber der persönliche Gewinn, den ich daraus ziehe, dass ich mir die Zeit nehme, einfach nur so zum Spaß zu zeichnen, bedeutet so viel mehr. Tue mehr Dinge, die dir Freude bereiten und du wirst ein glücklicherer Mensch und besser für deine Gemeinschaft sein.

Du arbeitest auch als Backcountry-Guide in der Baldface Lodge… das klingt nach einem Traumjob!?

Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich die Möglichkeit habe, anderen als Guide zu dabei zu helfen, Abenteuer zu erleben, und Baldface ist ein so inspirierender Ort zum Arbeiten und Sich-austoben. Der Prozess, ein Guide zu werden, und ich bin immer noch in diesem Prozess, hat an sich schon Spaß gemacht; ich habe mehr über die Entscheidungsfindung in den Bergen, die Schneedecke und das sichere Navigieren in schwierigem Gelände gelernt. Ich weiß, dass der Zugang zum Backcountry mir geholfen hat, mich zu einer besseren Version meiner selbst zu entwickeln und zu den Kunstwerken geführt hat, die ich schaffen möchte. Jeder verdient diesen Zugang, und ich bin froh, dass ich die Möglichkeit habe, anderen dabei zu helfen, sicher nach draußen zu kommen.

 

 Malst du in der Lodge auch?

Auf jeden Fall – meine Malutensilien habe ich überall dabei. Witzigerweise hatte ich bei meiner ersten Reise nach Baldface meine Malutensilien mitgebracht und wollte Jeff Pensiero (den Besitzer der Baldface Lodge) davon überzeugen, ein Programm für Künstler zu starten, bei dem ich ihm helfen könnte. Er bot mir stattdessen einen Job als Guide an. Haha.

Jessa Gilbert Art

 

Folge Jessa und ihrer Kunst in den Bergen @jessagilbert