The Great White East – Snowboarden in Georgien
Georgien – Wo liegt das eigentlich genau und weißt du irgendetwas über das Land? Vor zwei Jahren wusste auch ich nicht viel darüber, aber heute kann ich sagen, dass ich mehr von Georgien gesehen habe als die meisten Locals, dass ich Snowboarden in Georgien war und dass ich jederzeit wieder dorthin reisen würde.
Unsere persönliche Georgien Geschichte begann vor zwei Jahren, als wir mehr zufällig den Kaukasus als Ziel unseres jährlichen Lipstick-Abenteuer Trips wählten. Damals wurden wir von Vera und Oleg, zwei unglaublich netten Menschen des örtlichen Touristen-Zentrums, Gudauri Travel, empfangen. Obwohl sie kaum etwas über uns wussten, taten sie alles dafür damit wir diese Woche in Georgien niemals vergessen werden – und das haben wir auch nicht. Im Sommer darauf schwelgte ich noch in den Erinnerungen an diesen Trip, als Oleg schon wieder dabei war eine neue Überraschung für uns zu planen und bestand darauf, dass wir wieder kommen und den Rest des Landes erkunden. Er bot uns an uns auf eine zweiwöchige Reise vom Nordwesten bis zum Südwesten des Landes mitzunehmen und da musste ich nicht zwei Mal überlegen.
Es ist Sonntag, 18 Uhr, 18 Stunden bevor unser Flieger von München nach Tbilisi startet. Ich sitze mit Urska in ihrem Wohnzimmer und wir sprechen darüber, dass es eine Schande sei, dass nur wir beide, Cecilia und Rene fliegen, obwohl wir noch Platz für eine fünfte Person haben. Es dauert nur fünf Minuten bis Urska ihre Freundin Alenka überzeugte uns als Fotografin auf dem Trip zu begleiten. Am nächsten Morgen packten wir unsere Boardbags ins Auto und fuhren nach München. Auf halbem Weg rief uns unsere Freundin Mateja an (sie arbeitet in Schladming) und erzählte, dass sie zwei Wochen frei habe und mitkommen könnte, aber ihre Kreditkarte nicht funktioniere und sie kein Ticket kaufen könne. Wir hielten bei einer Touristen Information auf dem Weg, buchten ein weiteres Ticket und quetschen Mateja in unser eh schon überfülltes Auto und machten uns schleunigst auf die Socken, da wir langsam schon spät dran waren. Zehn Kilometer vor dem Flughafen standen wir dann auch noch auf Grund eines schweren Unfalls im Stau. Es gab keinen Ausweg und wir überlegten schon wie wir unseren Flug umbuchen könnten, als direkt neben uns wie durch Geisterhand auf einmal ein Tor neben der Autobahn aufging. Wir fuhren quer durch die Felder und erreichten unseren Flug noch in letzter Minute. Nach diesem verrückten ersten Tag wusste ich, dass dieser Trip unglaublich werden wird.
Oleg holte uns mitten in der Nacht vom Flughafen ab und brachte uns in ein Hotel, sodass wir noch einmal gut schlafen können bevor wir durch das gesamte Land reisten und zu unserem ersten Stopp Mestia kamen. Als wir aufwachten war alles schon fertig hergerichtet, unsere Taschen waren in zwei Autos geladen und wir freuten uns auf einen sonnigen Tag mit Sightseeing aus dem Auto, während wir uns wunderten wo hier irgendwo Schnee liegen soll, denn es fühlte sich fast wie Sommer an. Da Urska und ich vom letzten Jahr schon an den georgischen Verkehr gewöhnt waren, konnten wir uns entspannen, aber die anderen hatten echt Angst. Obwohl die Straßen nur einspurig sind, ist es an der Tagesordnung jederzeit zu überholen, die entgegenkommenden Autos weichen dann schon aus, wenn sie dich sehen. Wenn Tiere auf der Straße sind, fährt man einfach um sie herum, genau wie bei Menschen auf der Straße, es ist ein riesiges Chaos, aber irgendwie funktioniert es.
Das Spannende am georgischen Klima ist, dass man – je nachdem wo man ist an einem Tag alle vier Jahreszeiten erleben kann. Die Naturvielfalt des Landes ist wirklich unfassbar. Die letzten drei Stunden unserer Fahrt ging es steil hinauf in die Berge und immer mal wieder lag ein haushoher Fels auf der Fahrbahn. Der heftige Regen der letzten Zeit hatte den Bergen zugesetzt und zu dem Zeitpunkt war ich froh, dass es dunkel wurde. Ich wollte die vor meinem geistigen Auge fallenden Felsbrocken nicht zu real werden lassen.
Als wir in Mestia ankamen, konnten wir kaum etwas erkennen, aber wir rechneten nicht mit mehr als einem kleinen Bett und einer warmen Dusche. Was uns aber erwartete, war ein First Class Hotel mit den besten zwei Zimmern und einem Helikopter vor dem Fenster. Als ich dachte es könnte nicht besser werden, bekam ich zum Abendessen vegane Rohkost, da Oleg meine Essensgewohnheiten bereits kannte. Es hört sich vielleicht nicht so besonderes an, aber wir sprechen von einem Land, in dem sie ausschließlich tierische Produkte essen, und in dem man in einem Radius von 500 km kein Obst oder Salat findet. Ich legte mich in mein großes Bett, dankte Snowboarden zum tausendsten Mal dafür mein Leben so zu bereichern und schlief ein.
Als wir am nächsten Morgen aus unserem riesigen Panoramafenster blickten, realisierten wir, dass Mestia wie eine Landschaft aus Game of Thrones aussieht. Überall stehen riesige Felstürme. Es heißt die Menschen hier lebten bis vor 100 Jahren isoliert von der restlichen Zivilisation. Die Türme waren ihre Schlafzimmer und Verstecke. Angeblich versteckten sie sich dort zum Teil jahrelang aus Angst vor Blutrache einer anderen Familie. Manchmal ging es um Mord, manchmal nur um eine gestohlene Kuh, aber es bringt deine Fantasie auf jeden Fall zum Blühen. Da die Winter in Mesita bis zu zehn Monate lang dauern können, verbringen sie und ihr Vieh die Zeit gemeinsam drinnen.
An jenem Tag lag in dem Resort nicht viel Schnee, aber die Sonne schien und wir genossen den Ausblick vom Gipfel. Wir freuten uns auf den für die Nacht angekündigten Schneesturm und verzogen uns in unser gemütliches Hotel vor dem Kamin und wurden von einer Gruppe von einheimischen Saventi Tänzern und Sängern unterhalten. Die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag lang schneite es wie verrückt und da wir wussten, dass niemand anderes außer uns auf dem Berg ist, war uns klar, dass wir sobald das Wetter besser wird „schnorcheln“ gehen konnten.
Die Lifte in Georgien öffnen erst um zehn Uhr, niemand hat es eilig, außer uns und vier anderen Touristen, die nervös auf die First Tracks warteten. Unsere kleine Gruppe schaffte es endlich nach oben, wir packten alle Kameras weg und beschlossen erst ein paar Powderruns gemeinsam zu genießen, da wir genug für den restlichen Tag haben würden. Die Piste mit fast einem Meter Neuschnee war leer, unberührt und gehörte nur uns. Ich sang wie ein kleines Kind, sprayte mich bei jedem Turn voll und lauschte den aufgeregten Schreien meiner Freunde um mich. Der Berg war gerade steil genug um im Powder genug Geschwindigkeit zu bekommen und gerade flach genug, um keine Angst vor Lawinen haben zu müssen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei jedem Run First Tracks hatte und ich hatte 20 davon. Wir konnten unsere Freude nicht verbergen und wussten, dass dieser Tag für einige von uns unvergesslich bleiben wird und wir waren glücklich dieses Erlebnis miteinander teilen zu können.
Der Plan für den nächsten Tag war Ushguli zu besuchen, eine alte Gemeinschaft aus vier Örtern, die noch entlegener und höher, auf ca. 2000 Meter, in den Bergen liegt. Oleg erzählte uns, dass es nur 40 km entfernt sei, aber vier Stunden lang dauere dort hin zu gelangen. Wenn du denkst, du bist schon mal auf einer schlechten Straße gefahren, bist du nicht auf einer schlechten Straße gefahren. Ich habe keinen blassen Schimmer wie die Menschen dort hinkommen oder von dort weg, denn der Weg war krass und es gab einige Momente, in denen ich nicht aus dem Fenster schauen konnte. Dort angekommen hikten wir auf den Berg und genossen ein paar Runs zwischen alten Häusern, aber dort lag mehr Matsch als Schnee, also sagten wir den Soldaten, die die Grenze zu Russland bewachen Hallo und fuhren zurück.
Unser nächster Halt war der Küstenort Anaklia am Schwarzen Meer. Es war genau die richtige Abwechslung nach den kalten Tagen im tiefen Schnee, ein komplett anderes Klima. Wir wären fast dort geblieben, denn Rene mochte das Meer so sehr, dass wir ihn kaum von dort losreißen konnten. Da Oleg ja nicht wusste, dass wir zu sechst anstatt zu viert kommen würden, hatten wir jetzt ein Auto zu wenig. Aber es ist ja kein Problem ein Auto zu mieten und so unsere Tour fortsetzen – dachten wir. Zunächst wusste ich nicht, warum Oleg bei dieser Idee besorgt war, aber nach zehen Kilometern Fahrt war mir klar, dass ich mein Gehirn auf Chaos-Fahren einstellen muss, wenn ich überleben wollte – und das tat ich. Den Strafzettel dafür bekam ich schon am ersten Tag zurück daheim, als der Polizist meine Entschuldigung „aber ich war gerade in Georgien“ nicht zählen lies.
Auf unserem Weg zu einer noch komplett unerschlossenen Gegend namens Goderdzi hielten wir in Batumi, einer weiteren Stadt am Schwarzen Meer. Genau wie in Tiblisi erwartete uns dort eine seltsame Mischung von verschiedenster Architektur, aber wir genossen es uns unter die Leute zu mischen bevor wir weiter in die Berge zu einem Ort mit nur wenig Elektrizität und keinerlei Komfort fuhren. Wir sorgten dafür, dass ich alle Bananen in der Umgebung kaufte, da meine vegane Lebensweise in diesem Fleisch-lastigen Land von Tag zu Tag schwieriger wurde und ich echte Probleme hatte zu erklären, dass mir ein Beilagensalat nicht zum satt werden reichte.
Die Straße nach Goderdzi war wie eine Achterbahn, aber irgendwie gewöhnten wir uns daran, uns stresste es schon gar nicht mehr. Wieder einmal schauten wir einander an und fragten uns wo zur Hölle wir eigentlich hinfuhren. Als wir ankamen, war es bereits dunkel und mir graute es schon meine Taschen durch den Schneematsch zu schleifen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich das ganze Dorf schon auf unsere Ankunft freute und bereits alle jungen Männer bereit standen, um uns zu helfen. Da das Skigebiet erst nächstes Jahr eröffnen soll, gab es noch keine Hotels und eine einheimische Großfamilie sowie der Manager des Gebiets hießen uns willkommen. Die Familie war offensichtlich die Reichste im Ort, denn sie hatten Elektrizität. Aber das Haus bestand aus Holz, welches sich durch die Kälte zusammenzog und wir konnten durch die Schlitze nach draußen schauen. Es war sehr kalt, aber wir kuschelten uns mit all unseren Decken zusammen und realisierten, dass das echte Abenteuer erst begann.
Unser größtes Problem war zur Talstation des Resorts zu kommen, welche zwar nur acht Kilometer entfernt liegt, aber die Straße auf Grund des Schnees geschlossen war. Die Locals sagten sie könnten uns einen Traktor besorgen, der uns fährt – und was für ein Traktor! Ich konnte mir nicht vorstellen wie drei von uns dort reinpassen sollten, aber am Ende waren zwölf Leute in dem Gefährt. Da er sehr langsam fuhr, beschlossen Mateja und Alenka hinter dem Traktor herzugehen, ein paar Fotos zu schießen und die Natur zu genießen. Was wir nicht wussten war, dass es dort Wölfe gibt und Menschen dort nicht alleine rumlaufen sollten. Und ich hab mich schon gewundert, warum jeder ein Gewehr bei sich trägt. Wir holten die beiden schnellstmöglich in den Traktor, Mateja lachte nur, denn sie dachte es müssten viele Hunde in der Nähe sein, da so viele Spuren im Schnee waren.
Im Tal angelangt zogen wir unsere Schneeschuhe an und machten uns auf um ein Terrain zu finden, in dem wir irgendwas anstellen konnten. Um uns herum standen viele Sommerhäuser aus Holz, was fast schon magisch wirkte. Wir fanden einen passenden Spot, bauten einen Kicker, aber sobald wir fertig waren, zog es zu und wir beschlossen bis zum nächsten Tag zu warten. Es fing wieder an zu schneien und uns blieb nichts anderes übrig, als einen Tag mit der Familie zu verbringen. Sie versorgten uns mit all ihren Spezialitäten und weihten uns in ihre Tradition ein. Dies erinnerte uns daran, dass wir einiges haben und unseren Lebensstil wieder etwas mehr Wert schätzen sollten, und so verbrachten wir den restlichen Tag mit Geschichten erzählen und uns am Feuer zu wärmen.
An unserem letzten Snowboardtag organisierte Oleg eine echte Pistenraupe, die uns auf den Gipfel brachte, denn sie mussten oben eh ein paar Dinge reparieren. Das lustige war, dass derselbe Typ, der am Tag zuvor den Traktor fuhr, auch die Raupe fuhr und ich glaub es war sein erstes Mal. Wir waren mit den Nerven fix und fertig, aber als wir oben ankamen, war es das wert. Da waren wir also, auf dem Gipfel eines Berges, den vor uns noch nie zuvor jemand gefahren ist, mit frischem Powder und bluebird. Sogar Rene fuhr Pow-Turns bis zu der Position, aus der er filmen wollte. Der denkwürdigste Moment war, als ich dort oben am Gipfel saß, gerade anschnallte, den Moment und vor allem die Tatsache genoß, dass ich mich nicht beeilen musste, da das alles für mich war und ich alle Zeit der Welt hatte.
Nun war der Snowboardteil zu Ende und wir fuhren zurück nach Tbilisi, wo Oleg noch ein paar Überraschungen für uns bereithielt. Er und Vera luden uns zu einem Abschiedsessen in einem typisch georgischen Saal ein, in dem das Essen serviert wird und Menschen tanzen, so wie bei uns auf Hochzeiten. Es war lustig und wir standen immer noch unter den Eindrücken dieses unglaublichen Trips, aber es war an der Zeit unsere Sachen zu packen und uns für die Flüge am frühen Morgen fertig zu machen. Wir gaben unser Gepäck auf, saßen noch ein paar Minuten um Oleg Tschüss zu sagen, als auf einmal fünf Typen vor uns standen und für uns sangen. Der ganze Flughafen blieb stehen und hörte zu. Wieder einmal waren sie extra für uns dort, Oleg lachte sich im Hintergrund kaputt und wir konnten ihm nicht genug danken.
Es entstand auf diesem Trip vielleicht nicht das beste Filmmaterial oder die besten Fotos, aber diese zwei Wochen wird jeder von uns stets in Erinnerung behalten. Es erinnert mich daran warum ich Snowboarden liebe und was für ein tolles Geschenk das Leben ist.
Tausend Dank an Oleg, Vera und alle Menschen, die wir auf der Reise trafen. Danke an www.snow.ge für die unvergesslichen Erinnerungen. Ich weiß nicht wie wir jemals damit aufhören können immer wieder nach Georgien zurück zu kommen.