Jasmin Schröter
Siargao – Philippinen
Während meiner „Weltreise“ im Jahr 2010 bin ich im Mai rein zufällig das erste Mal nach Siargao gekommen. Ich hatte die Philippinen gar nicht auf meiner Liste, da davon damals vom auswärtigen Amt sehr abgeraten wurde…
Nachdem ich jedoch bereits Monate in Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam verbracht hatte, wollte ich mal zwei Wochen irgendwo „ausspannen“. Klingt komisch, ich weiß, aber ich suchte einen schönen, entspannten, kleinen Strand, an dem ich kein Sightseeing oder Reisen auf dem Plan habe… Einfach nur chillen, kein Rucksackschleppen, kein Wandern und kein Planen… Völlig ungeplant habe ich dann einen Flug von Ho Chi Minh nach Manila gebucht, da dieser mit 35$ damals das günstigste und zeitnahste Angebot war.
In Manila angekommen, hatte ich eigentlich den Plan, nach Boracay zu reisen – Gott bin ich froh, dass ein Taifun meine Pläne total durchkreuzt hat und ich dann dank gecancelter Flüge einen etwas verrückten Hawaiianer namens „Tyron“ im Hostel kennen lernte, der mir von Siargao vorschwärmte.
Also flog ich am nächsten Tag nach Siargao. Die Wegbeschreibung zur Unterkunft, gezeichnet auf ein Stück Toilettenpapier hatte ich dabei. Leider fand ich den von ihm beschriebenen Bungalow nicht, war aber dennoch sofort hin und weg von der Einfachheit, Freundlichkeit und Wärme, die mich in Siargao / General Luna empfangen hat.
Geplant war das alles NIE. Ich habe damals (mit 25 Jahren) beschlossen, dass es „DAS“ jetzt nicht gewesen sein kann… Ja, ich hatte alles: eine nette, relativ günstige Altbau Wohnung im Herzen von München, an der Isar, ein angenehmen und gut bezahlten Job, viele Freunde, ein Auto… Aber ich habe mein Leben in dem Moment einfach so nicht für immer gesehen.
Ich habe immer Freunde mit einem „normalen Studium“ und der Möglichkeit und dem Mut zum Reisen beneidet. Ich war bis damals noch nie in Thailand oder sonst wo mit einem Rucksack alleine unterwegs. Ich bin viel gereist und habe sehr viel gesehen, aber ich wollte auch mal ein Backpacker sein, ohne Plan und einfach drauf los. Somit habe ich etwas Hals über Kopf meinen Job gekündigt, die Wohnung untervermietet, meine ganzen Kisten eingelagert und den Hund bei Mama abgeliefert. Meine Eltern waren alles andere als begeistert, aber konnten es schließlich doch auch irgendwo verstehen und waren relativ hilfsbereit.
Vom Surfvirus infiziert
Es kam dann irgendwie Eins zum Anderen. Ich habe mich in Asien und generell mit der Situation sehr wohl gefühlt. Ich war schon immer sehr selbstständig und habe keine Kommunikationsschwierigkeiten. In Siargao jedoch habe ich mich das erste Mal so richtig, richtig wohl gefühlt und auch die Liebe zum Surfen entdeckt. Ich bin nicht direkt hier geblieben, sondern habe noch ein paar meiner anderen Reiseziele verfolgt. Leider nicht alle. Aber Bali, Australien und Neuseeland waren noch dabei – doch nach jeder Reise hat es mich wieder nach Siargao gezogen und Tickets wurden geändert, storniert oder erneuert.
Doch nach drei Monaten am Stück hier in Siargao fehlte mir eine Aufgabe – somit habe ich damals mit einer hier neu gefundenen Freundin beschlossen, ein Cafe/Resto zu eröffnen – heute LaLuna. Das lief auch alles ganz gut, muss man sagen – leider jedoch viel zu viel Arbeit für das, was man dann am Ende in der Hand hatte… Somit gab ich meinen Anteil auf und hatte dann (auch auf Grund von meinem 2013 geborenen Sohn) den Druck oder das Gefühl, ich müsse etwas „Anständiges“ machen – meinem Sohn etwas bieten – abgesicherter sein.
Also habe ich im Mai 2014 die Koffer gepackt und in Deutschland als allein erziehende Mutter wieder von Null angefangen. Mein Haus in Siargao habe ich erst einmal untervermietet. Es war das schwerste und schlimmste für mich, alleine in Deutschland mit Kind eine Wohnung, einen Job, Unterstützung etc. zu finden. Allein die Informationen zu erhalten, was man wie wann und wo bekommt, FURCHTBAR!
Doch auch das haben wir alles gemeistert. Große Wohnung, relativ zentrumsnah, neuer Job, Vollzeit-Tagesplatz für Noa, alles wie im Buch.
Doch glücklich war ich leider überhaupt nicht – im Gegenteil. Nach nur vier Monaten stand ich an der Grenze zur Depression. Das Geld war nicht ausreichend, um einen gewissen Lebensstandard zu halten – keine Wochenendtrips, keine Parties, da auch kein Geld für Babysitter etc. Und ich habe das Meer vermisst, Zeit für mich, mal eine Stunde Yoga oder Surfen. Familie und Freunde sind da, ja – aber die haben auch ein Leben, Jobs und Familie. Ich habe sie alle ehrlich gesagt nicht mehr gesehen, als in den Jahren, die ich in Siargao war.
Auch mein Sohn – es brach mir jeden Tag das Herz, ihn als erstes um 7:30 in der Kita abzugeben und als letztes um 6 Uhr dort abzuholen. Es war eine einzige Rennerei um Zeit und Druck und Standards, die man in Deutschland zu erfüllen hat. Ich habe mich nicht mehr frei, nicht mehr wie ich selber gefühlt. Ich war immer “die Alleinerziehende”.
Nach nur zehn Monaten habe ich den Versuch aufgegeben. Ich wusste ja, es gibt auch ein anderes Leben. Warum soll ich mich und meinen Sohn zu etwas zwingen, wenn ich weiß, dass es leichter, schöner und besser geht? Und auch glücklicher!
Um dann hier in Siargao ein Einkommen zu bestreiten, habe ich im August 2015 angefangen, Unterkünfte auf mein kleines Land zu bauen. Da ich nach dem Neustart in Deutschland leider nicht mehr allzu viele Ersparnisse hatte, waren keine großen Sprünge möglich. Ich musste mir Geld von Familie und Freunden leihen, hatte viele schlaflose Nächte mit Existenzängsten und Fragen ob dies nun die richtige Entscheidung war…
Schon immer war ich diejenige in der Familie, bei der alles anders und nicht zufriedenstellend war – diejenige, die das Studium nur ausreichend beendet hat und dann etwas ganz anderes gearbeitet hat, als geplant. Keine Banklehre oder ein Pharmaziestudium, wie es meine Eltern wollten. Ich ändere schnell meine Meinung, bin schnell gelangweilt oder brauche neue Herausforderungen. Inzwischen habe ich sechs Zimmer auf meinem Land und alle Schulden abbezahlt.
Ja, es ist ein Leben im Paradies, aber auch ein Leben im Paradies ist bei weitem nicht einfach – und auch das Paradies, was viele Touristen hier sehen, ist kein Paradies mehr, wenn man hier lebt. Es ist Zuhause! Es ist nicht leicht – man hat hier genauso Probleme mit Steuern, Betrug, Mitarbeitern, Freunden und Lebenspartnern, wie sonst überall auch! Es findet vielleicht alles unter Palmen und blauem Himmel statt und man kann sich bei einem langen Surf abkühlen, aber die Probleme sind auch hier genauso vorhanden.
Wir haben natürlich vieles, wovon man in Deutschland nur träumen kann. Weite, weiße Strände, Palmen, viel Sonne, Einfachheit. Aber genau diese Einfachheit kann auch ein Problem sein. Wir haben hier kein funktionierendes Krankenhaus! Keinen vernünftigen Arzt, keine Versicherung. Man braucht drei Stunden mit dem Boot zum Festland, was bereits vielen in einem Notfall zum Verhängnis wurde. Erst neulich starb ein sehr guter und toller Mensch, ein 21-jähriger Junge, der noch so viel vor sich hatte, wegen eines Motorradunfalls. Er wurde einfach überfahren und liegen gelassen. Keine Polizei, keine Regeln, keine Hilfe, er musste furchtbar sterben und die ganze Familie leiden.
Das ist die Kehrseite der Medaille.
Island Life
Ich frage mich oft, ob ich das kann und möchte, ob ich eine gute Mutter bin, es richtig ist meinen Sohn hier aufzuziehen. “WAS WENN…” Natürlich kann er auch in Deutschland an einer Ampel angefahren werden, aber wenigstens weiß ich dort Hilfe zu rufen. Hier – nichts: kein Krankenhaus, kein System, keine Versicherung, keine Absicherung.Wir haben unsere Community und das war’s – aber auch diese Community stößt bei vielem an ihre Grenzen. Wir leben nach wie vor in einem Dritte Welt Land, sehr korrupt und leider absolut nicht volksorientiert.
Die Einfachheit macht vieles leicht, aber auch vieles unmöglich. Und natürlich bin und werde ich immer “die weiße, reiche Ausländerin” sein. Etwas, das auch gebildete Leute hier leider nie verstehen werden ist, dass auch wir für unser Geld und was wir erreicht haben, arbeiten mussten. Sie glauben, das Geld bei uns ist endlos. Dass ich einen Geldbaum im Garten habe, der einmal wöchentlich geerntet wird. Auch nach sieben Jahren sieht keiner die Arbeit, die man hier geleistet hat, um zu haben, was man hat – leider.
Ich genieße es hier, Zeit für mich zu haben, Zeit zum Surfen. Ich kann ohne das Meer nicht mehr leben. Das habe ich schon lange gemerkt und zu schätzen gelernt. Für ein Kind ist es natürlich ein Paradies: Sand, wo man hin sieht, Blumen und Meer, schwimmen. Man braucht nicht viel Spielzeug, ein Stock und ein Stein können die Kinder hier den ganzen Tag beschäftigen. Ich habe den Luxus einer Nanny. In Deutschland kann ich mir keinen Abend mit einem Babysitter leisten. Das waren dann so Geschenke zu Geburtstag und Weihnachten “Gutschein für einen Abend Babysitter”! Haha
Ich arbeite online und vermiete sechs Zimmer. Das ist kein Vergleich zu einem Vollzeit-Job in Deutschland, aber auch nicht leicht. Es kostet viel Kraft und Zeit. Alles hier läuft anders. Langsamer, unverständlicher, oft unlogisch! Und natürlich verdiene ich nur einen Bruchteil von dem, was ich in Deutschland verdienen könnte. Aber das ist ok, ich bin glücklich mit dem was, ich habe.