Rockaway Beach – Surfen in New York

Lange Sandstrände, kleinstädtisch anmutende Strandhäuschen und Wellen die in Perfektion an den Strand rollen. Beim Landeanflug auf den John F. Kennedy Flughafen hat man nicht das Gefühl in der Millionenstadt New York zu landen. Weit und breit ist kein Wolkenkratzer zu sehen. Wer hätte gedacht, dass man nach der Landung nur zwei U-Bahn-Stationen von besten Surfwellen entfernt ist? Einfach bei Howard Beach JFK Airport in die A-Linie einsteigen und bis Rockaway Beach fahren. Allein die Aussicht beim Überqueren des Broad Channels ist eine Fahrt wert. Links und rechts von der Subway-Trasse glitzert die Jamaica Bay, Möwen fliegen vorbei und vor einem erstreckt sich der langgezogene, inselähnliche Stadtteil Rockaway. Blickt man links nach hinten, sieht man die Rollfelder des JFK Airports, auf denen immer reger Betrieb herrscht. In Rockaway angekommen, kann man von den erhöhten U-Bahn-Stationen schon das Meer sehen. Es liegt nur wenige Häuserblocks entfernt. An der Beach 67th Street läuft man auf dem Weg zum Meer direkt an einem Surfshop vorbei. Das erste Anzeichen, dass man hier wirklich Surfen in New York kann.

Egal ob Sommer oder Winter, am Strand trifft man immer auf ein paar Hartgesottene, die sich keine Welle entgehen lassen. Einer von ihnen ist der Local Michael Kololyan. Gemeinsam mit seinem Kumpel Michael Reinhardt betreibt der 24-Jährige seit 2011 eine Surfschule. Jeder am Strand kennt die beiden Mikes. Der eine ist mit seinem Blondschopf und den blauen Augen der Surfer Dude wie er im Buche steht und der andere besticht selbst im Winter mit seiner nicht weniger werdenden Bräune. Sobald ihr silberner Van mit der Aufschrift „Locals Surf School“ an der Promenade steht, kann man sich sicher sein: Der Swell ist hervorragend. Ihr Wissen über die teils stürmische See vor Rockaway ist unschlagbar: „New York surfing is inconsistent, hard to access. Best waves are in the winter and it is cold. But when it’s good, it’s really good. If you can surf New York City, you can surf anywhere.”

„Bitte was hast du gemacht? Surfen? Hier bei uns?“ Das ist die typische Reaktion eines New Yorkers wenn er den Grund für die nassen Haare, Sonnenbrand und Muskelkater erfährt. Das Bild des Surfers passt nicht wirklich zum Image der Stadt. Da stellt man sich Börsenmarkler mit Aktenkoffern oder aufstrebende Modedesigner vor, aber keinen blonden Beach Boy. Viele wissen nicht einmal, dass man in ihrer Stadt surfen kann. Die meisten kennen Coney Island und Brighton Beach, doch bis Rockaway Beach verschlägt es die wenigsten. Dabei braucht man von Midtown aus nur etwa eine Stunde mit der U-Bahn. Aber selbst wenn sie von der Möglichkeit erfahren, sind die meisten von den Temperaturen abgeschreckt. Schlimm genug bei eisigem Wind durch Hochhausschluchten zu hetzen. Aber auch bei gutem Wetter macht der volle Terminplan vielen Geschäftsleuten einen Strich durch die Surfträume.

Michael Kololyans letzter Satz erinnert an Frank Sinatras Liedzeile “If I can make it there, I’ll make it anywhere”. Gemeint ist auch in dem Fall New York City. Die Stadt, die niemals schläft, fängt langsam an sich auch unter Surfern einen Namen zu machen. Kein Wunder! Die Hurrikan-Saison bringt Ende August beste Wellen mit bis zu 10 ft Höhe und im Winter hat man den Strand fast für sich alleine. Das liegt natürlich auch an den eisigen Temperaturen des Atlantiks. Tiefswerte liegen bei 2° Celsius! Aber mit einem 6er Neo mit Hood, Schuhen und Handschuhen lässt es sich auch im Winter ein bis zwei Stunden aushalten. Jedenfalls ist das die Meinung der absolut Surf-Verrückten.

Die 22-jährige Esther Williams hat es gewagt: Ab in die Wellen vor der eigenen Haustür. Sie arbeitet seit einigen Jahren als Nanny in der Stadt. Mit strahlendem Gesichtsausdruck erinnert sich Esther an ihre erste Surfstunde in Rockaway: „I didn’t know very much about the surf culture in New York City. I’ve surfed a bit in other countries and areas that are very much known for surfing, so I was interested in how surfing on the east coast would compare.” Vor zwei Jahren stand die blonde Amerikanerin zuletzt auf einem Surfbrett. Doch mit Hilfe von Mike und Mike surfte sie bald mit gewohnter Sicherheit über die Wellen. Esther ist einfach nur stoked. Sie hat für 80 $ eine Gruppenstunde gebucht und noch eine Freundin überredet, mitzukommen. Ein sonniger Juni-Tag mit 2-3ft Wellen, blauem Himmel und einer leichten Meeresbrise. Perfekte Bedingungen, um den Alltagsstress für einen Moment zu vergessen. Nach ihrer Stunde bleibt Esther noch etwas am Strand. Es gibt auch, wie überall in New York, genug zu beobachten: Paare, die auf der Strandpromenade spazieren gehen. Rentner mit kleinen Hunden, Kids, die auf der Halfpipe an der 90th Street mit ihrem Skateboard hinunter rollen, Mütter, die die Sandburgen ihrer Kinder bewundern. Dazwischen finden sich Jogger, Fotografen und natürlich nicht zu vergessen: die Surfer. Wenn die beiden Mikes außerhalb der Surfstunden mit ihren Kumpels in den Wellen sind, kann schon etwas Neid aufkommen. Entweder sie blödeln herum und surfen per Kopfstand auf einem Longboard oder sie zeigen mit ihren Shortboards welche Turns möglich sind. Ab und zu ist sogar eine Tube dabei.

Spätestens im Hochsommer wird der Strand buchstäblich überrannt. Dann erwacht Rockaway aus dem Winterschlaf. Bunte Sonnenschirme reihen sich aneinander und auch im Line Up herrscht buntes Treiben. An heißen Tagen kann man selbst in New York ohne Wetsuit ins Wasser. Das lockt einige Gelegenheitssurfer an. Auch spontan gebuchte Surfstunden nehmen zu. Für die zwei Mikes heißt das: Arbeit non-stop! Besser geht es da allen, die den Sommer einfach nur genießen können. „Sand, surf and celebration defines Rockaway Beach in the summer”, schwärmt Andreea Waters. Die New Yorker Fotografin mit rumänischen Wurzeln hat sich auf Sport- und Lifestylefotografie spezialisiert. Nach getaner Arbeit verbringt sie die Sommerabende am liebsten in Rockaway: “You can start the evening on the boardwalk with live music, DJs and awesome food. Rippers and Caracas Arepa Bar are a must stop. After you can head inland for more good times and friends at Connolly’s Bar, Playland Motel, Rockaway Beach Surf Club, Bungalow Bar.” Tagsüber noch mit der Kamera am Strand, zieht Andreea abends gern mit den Jungs von Locals um die Häuser.

Für alle, die noch keinen Anschluss gefunden haben, gibt es die „NY Surf Buddies“. Eine Gruppe, die über Meet up und Facebook einmal im Monat zum gemeinsamen Feiern einlädt. Alte Hasen wie Andreea und Mike sind genauso dabei wie Rookies oder Zugezogene. Leute verschiedenen Alters und Herkunft treffen hier aufeinander. „Ach, du kommst aus Deutschland? Der Typ mit dem blauen T-Shirt auch! Ich stell euch vor.“ Offen wie die Amerikaner sind, bleibt man nicht lange alleine. Die „Surf Buddies“ beschränken sich bei ihrer Location-Wahl auch nicht nur auf Rockaway. Man entdeckt auch den ein oder anderen Geheimtipp in Mid- oder Downtown.

Das ist das Tolle an der New Yorker Surfszene. Sie liegt am Rande einer Metropole. Nach einem einsamen Morgenspaziergang am Strand ist man in weniger als einer Stunde an der Fifth Avenue, Central Park oder Times Square. Die Stadt pulsiert und das überträgt sich auch auf ihre Surf-Kultur. Sie ist mehr und mehr im Kommen. Die Kids Camps von Locals Surf School sind jedes Jahr schneller ausgebucht, Board Rentals schießen aus dem Boden und auch Hotels und Ferienhäuschen in Rockaway werden immer beliebter. Manchen Locals wird das schon fast zu viel. Sie sehnen sich nach den Zeiten als Rockaway noch der absolute Geheimtipp war. Aber es gibt zum Glück noch einige umliegende Surfspots in New Jersey oder Long Island. Und wem das nicht reicht: Vom JFK Airport aus gibt es Flüge nach Nicaragua, Costa Rica oder anderen Surfspots. Obwohl man doch etwas wehmütig wird, wenn das Flugzeug einen wegbringt von den Strandhäuschen, Möwen und Großstadtsurfern. Außerdem muss man nur einmal in die grinsenden und gebräunten Gesichter von Mike, Mike, Andreea oder Esther schauen und man merkt: Rockaway rocks!